Interview mit Marc Ritter

Er kann nicht nur finster schreiben, sondern auch gucken ... (Foto: foto-schwabing.de)

Er kann nicht nur finster schreiben, sondern auch gucken … (Foto: foto-schwabing.de)

Er führte (und führt!) ein hochspannendes Leben in den unterschiedlichsten Berufen – dabei ist der Mann doch erst 1967 geboren. In München. Was seine Eltern nicht daran hinderte, nach Garmisch-Partenkirchen auszuwandern, weswegen dieser Ort zum Schauplatz der Hartinger-Krimis wurde. Lesen Sie, warum Gonzo in mancher Hinsicht ein alter Ego des Langstreckenläufers Ritter ist, was der Autor über den G7 Gipfel im Juni 2015 denkt und welche seiner literarischen Erfindungen noch urplötzlich Realität wurden.

Herr Ritter, Sie leben in München. Angenommen, Sie wollten Ihren Lebensmittelpunkt nach Garmisch-Partenkirchen verlegen … wie wäre die Resonanz von Seiten der Gemeinde-Großkopferten?

Da ich ja in meinen Büchern eine fiktive Parallel-Welt entwerfe, sind die realen Großkopferten von Garmisch-Partenkirchen ganz anders als in meinen Büchern.
Dort regiert seit Kurzem eine SPD-Bürgermeisterin. Das muss man vielleicht nochmal ganz langsam sagen: Richtig verstanden, an der Rathausspitze arbeitet eine Frau, die der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands angehört.
Und die hat mich sogar zu ihrem Neujahrsempfang 2015 eingeladen, damit ich dort aus meinem aktuellen Buch vorlese – und meine Meinung zur Stadtentwicklung zum Besten gebe.

Sie können sich natürlich denken, dass wir bei der Eingangsfrage das Ungemach im Hinterkopf hatten, das Ihr Protagonist Hartinger dort dem einen oder anderen (fiktiv natürlich, rein fiktiv) in den mittlerweile vier Fällen bereitet hat … – wissen Sie noch auswendig, wer bei Ihnen angeblich oder tatsächlich welchen Dreck am Stecken hatte?

Irgendwie hat ja jeder so seinen eigenen Dreck. Selbst mein Held Gonzo Hartinger ist ja nicht ganz ohne Tadel.
Aber ich weiß natürlich genau, was meine Bürgermeister, Tourismus-Unternehmer, Polizeichefs so alles auf dem Kerbholz haben. Und manchmal wird es mir auch zu viel.
Ich habe ja zum Glück meine Mittel, Leute für immer zum Schweigen zu bringen …

Welches Szenario hat Ihnen davon beim Schreiben am meisten Spaß gemacht?

Es gibt bei mir immer wieder Stellen, in denen großspurige und fantastische Zukunftskonzepte entwickelt werden. Atommülllagerung im geplanten Tunnel der Ortsumfahrung. Überdachung des Slalomhangs. Das Tempel-Freilichtmuseum “Spirit of the Alps”, ein Dauerbrenner.
Wenn deren Erfinder und Propagandisten in volle Fahrt geraten, amüsiere ich mich schon sehr über sie. Auch in “Frauenmahd” gibt es recht gschpinnerte Pläne.

In eben diesem Roman kommt auch das bayerische Kabinett – bis nach ganz oben, so viel dürfen wir verraten – nicht ungeschoren davon. Erwarten Sie diesbezüglich Post aus der Staatskanzlei?

Das wäre zu schön. Vielleicht hat man sich in der Staatskanzlei nach “Herrgottschrofen” an meine Unverschämtheiten in diese Richtung gewöhnt.
Jedenfalls finde ich in meinem Briefkasten nur Briefe der bayerischen Steuerbehörden. Die sind schlimm genug.

Als Autor haben Sie sich ja immer von realen Ereignissen inspirieren lassen – es fehlen daher nicht die Verweise auf das aktuelle Tagesgeschehen (Stichwort: wegen Steuerschulden inhaftierter ehemaliger Fußball-Funktionär oder Politikerin mit allzu engen semi-privaten Verbindungen in die Psychiatrie…).
Wie steht es diesbezüglich mit dem G7-Gipfeltreffen am 7. und 8. Juni 2015 in Schloß Elmau?

Das Thema habe ich zufälligerweise in „Bluteis“ schon abgefrühstückt.
In diesem Thriller spielt die Schlüsselszene in einem sehr ähnlichen Hotel bei einem sehr ähnlichen Event. Und da kommt es zu einem Terroranschlag.
Dieses Buch ist in exakt der Woche erschienen, in der erst bekannt gegeben wurde, dass die Elmau Heimat der wirklich Großkopferten dieser Erde sein wird. Da können Sie sich denken, dass ich das erst einmal nicht glauben konnte …

Genau, wie ich schon 2012 und somit viele Monate vor Edward Snowden in „Kreuzzug“ geschrieben habe, dass die NSA sämtlichen E-Mail und Telefonverkehr auf der Erde überwacht. Manche sagen, dass nicht ich mich von realen Ereignissen inspirieren lasse, sondern die Realität sich von meinen Büchern. Das halte ich für übertrieben.

Eine nicht uninteressante These …
Die wir jetzt aber, gerade bezogen auf das Gipfeltreffen, lieber gar nicht vertiefen wollen.
Allerdings könnte man ja ein solches Großereignis durchaus zum Anlass für ein neuerliches Gedankenspiel nehmen, zugeschnitten auf das (bekannte) fiktive Personal. Was dem Ganzen noch einmal einen ganz anderen Dreh verleihen würde als es bei „Bluteis“ der Fall wäre.
Ist also denkbar, dass der Hartinger in einem der nächsten Bände aktiv mit dem Gipfeltreffen zu tun haben wird?

Wahrscheinlich werde ich mich mit dem G7-Gipfel nicht beschäftigen, weder in meinen Kriminalromanen noch in meinen Thrillern.
Erstens: Der Anschlag an genau diesem Ort, der Elmau, in „Bluteis“ reicht. Ich will mich ja nicht wiederholen.
Und zweitens hat ein Buch eine viel zu lange Vorbereitungszeit. Wenn ich damit heute anfange, erscheint das Buch, wenn längst kein Mensch mehr weiß, dass der G7-Gipfel im Werdenfelser Land veranstaltet wurde.

Wie wäre es dann mit einem Fokus auf die lokalen Polizeibehörden? – Das Aufgebot an Beamten wird ja voraussichtlich im Juni 2015 das, was in „Frauenmahd“ als schon außerordentlich groß beschrieben wird (eben weil auch eine Politikerin zu Tode kommt) noch um ein Vielfaches übersteigen …

Das große Szenario mit gigantischem Polizei-, Armee- und Geheimdiensteinsatz über alle Ebenen von der lokalen Polizeiinspektion über LKA, BKA bis BND und CIA, das habe ich auch im Thriller „Kreuzzug“ ausführlich geschildert, und zwar anlässlich der Kaperung der Zugspitze durch Terroristen in diesem Buch.
Das hat sehr viel Spaß gemacht zu recherchieren. Bin von allen Behörden wie dem LKA, aber auch bei der Bundeswehr, sehr gut informiert worden.
Seit dem „Kreuzzug“ bekomme ich auch ab und an eine Feldpostkarte von den in Afghanistan stationierten Gebirgsjägern. Denen gefällt, dass ich die Bundeswehr und ihre Soldaten nicht als Deppen der Nation hinstelle. Ich bin selbst Kriegsdienstverweigerer gewesen, habe aber einen riesigen Respekt vor Leuten, die unsere Gesellschaft unter Einsatz ihres Lebens verteidigen.
Gilt für Polizisten genauso wie Soldaten oder auch Bergwachtler.

Sie planen also in dieser Zeit keinen Besuch zu Recherchezwecken bei Verwandten oder Freunden in Garmisch-Partenkirchen?

Nein, ganz sicher nicht zum Thema G7.
Ich recherchiere eigentlich sowie immer und überall, vor allem beim Zeitunglesen und Radiohören. Über die großen Themen, wie das Thema „Energiewende“ in „Frauenmahd“, informiere ich mich vor allem aus der SZ.
Ich liebe und verehre aber auch die Radiowelt auf Bayern2. Läuft immer beim Frühstück.
Meine Mutter, die in Garmisch-Partenkirchen wohnt, hebt mir den Lokalteil des Münchner Merkur auf und dann blättere ich alle paar Monate mal den Stapel durch. Auch Merkur-Online und die dortige, leider etwas spärliche, Garmisch-Berichterstattung, nutze ich oft.
Und natürlich die Geschichten, die mir manche Menschen zutragen. Persönlich oder per Facebook. Es gibt da ein paar Gruppen, in denen heiß über das Ortsgeschehen diskutiert wird.

Es ist also nicht in erster Linie der Trubel, der Sie fernhält?
Während des G7-Gipfels oder kurz davor kann man ja wohl das ganze Gebiet nur weiträumig umfahren. Also werde ich nicht ausgerechnet an diesem Wochenende meine Mutter besuchen.
Abgesehen davon glaube ich gar nicht, dass in Garmisch-Partenkirchen so ein riesiger Trubel herrschen wird. Die Veranstaltung ist doch in Elmau, das ist 20 Kilometer weiter in einem abgeschlossenen Gebirgstal.
Was die sonstigen Reaktionen auf mein Erscheinen am Ort anbetrifft, bin ich ja nicht Christiano Ronaldo. Wenn ich in Garmisch-Partenkirchen auf die Straße gehe, passiert nichts Besonderes. Und an den Konfettiregen gewöhnt man sich. (lacht)

Mit Konfetti ist wohl beim G7-Treffen eher weniger zu rechnen … aber international wird der Ort dadurch wahrscheinlich eine Zeitlang schon in aller Munde sein.
Wie gut stehen Ihrer Meinung nach die Chancen, dass der Ort deswegen zu einem noch attraktiveren „Tatort“ wird?

Ich rate jedem Krimi- und Drehbuchautor: Geht nach Garmisch-Partenkirchen und schreibt weitere Garmisch-Partenkirchen-Krimis.
Konkurrenz belebt das Geschäft.
Wir haben erst vier Garmisch-Partenkirchen-Krimiserien!

Sie meinen neben „Ihrem“ Hartinger den Hubertus Jennerwein (von Jörg Maurer), Irmi Mangold (von Nicola Förg) und Balthasar Schwemmer (von Martin Schüller) – richtig?

Wenn deren Helden so heißen, dann meine ich die.
Ich lese sie alle nicht, denn auch hier: Man will ja noch viel weniger als sich selbst einen Kollegen bewusst oder unbewusst zitieren.

An dieser Stelle nochmal die ganz kurze Zwischenfrage:
Gibt es mittlerweile ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Orte und ihrer Bewohner? Oder ist man nach wie vor ENTWEDER Garmischer oder Partenkirchner – nicht nur als Bewohner von „GAP“, sondern auch als Autor einer Handlung, die ebendort spielt?

Das mit der Feindseligkeit zwischen den Bewohnern der beiden Ortsteile ist längst Geschichte und Folklore. Das erzählt man den Touristen, bei denen sowas supergut ankommt.
Also: Ja, es stimmt.
Wenn ein Partenkirchner auf den Fluren Garmischs erwischt wird, wird er geteert und gefedert. Und andersherum natürlich auch.

Und was ist mit den Wintersportarten? Wer darf sich die auf die Fahne schreiben?

Das jährliche Neujahrsskispringen richtet der Ski-Club Partenkirchen aus und die Weltcup-Abfahrtsrennen auf der berühmten Kandahar-Strecke der Ski-Club Garmisch. Alles gerecht verteilt, wie mir scheint.
Diese Veranstaltungen sind im Übrigen sicherlich für die Bekanntheit Garmisch-Partenkirchens entscheidender als der einmalige G7-Gipfel. Leider schlägt der letztgenannte aber die Sportveranstaltungen wohl in Sachen Aufwand und Kosten um Längen. Meiner Meinung nach sollten solche Hochsicherheitsverstaltungen auf Schiffen stattfinden, wo sie leichter und billiger zu schützen sind.

Noch einmal zurück zum aktuellen „Hartinger“.
In „Frauenmahd“ wird dem Protagonisten ja nicht nur übel, sondern aller-übelst mitgespielt: Er gerät mindestens vier Mal in akute Lebensgefahr, muss miterleben, wie zahlreiche, ihm wohlbekannte Personen schwer verletzt werden oder gar sterben und steht am Ende vor der wohl schwierigsten Entscheidung seines Lebens.
Was war der Auslöser, dem armen Mann all das in nur einem Roman anzutun? Der Stoff, so möchte man meinen, hätte locker noch für drei Bände gereicht …

Wer weiß, wie viele Bände noch kommen. Da fällt mir schon noch genug ein.
Und ich habe das Gefühl, die Leute wollen so einen Anti-Helden wie Hartinger auch leiden sehen. Er entwickelt sich gerade zum John McClane der Alpen, der kann schon was vertragen.

Sie haben viele der Erfahrungen, mit denen Sie Ihren Helden ausstatten, selbst gemacht: Waren als Reporter und Fotograf für Lokalzeitungen in München und Garmisch-Partenkirchen tätig, auch die SZ spielt in Ihrer Vita keine geringe Rolle und Sie wurden ebenfalls in relativ jungen Jahren Vater. Ach ja, und eine Affinität zu Hunden haben Sie auch, oder?
Wie gelingt es dem Autor vor diesem Hintergrund, sich von seinem literarischen Alter Ego abzugrenzen? Oder ist das vielleicht gar nicht nötig?

Stimmt, der Hartinger ist mir nicht vollkommen unähnlich in manchen Sachen. Auch die berühmte Frage, was er denn nun mit seinem Leben anfangen soll, stelle ich mir von Zeit zu Zeit. Hartinger lebt also ein paar meiner inneren Konflikte aus. Vielleicht ist er meine Therapie.

Wie wird es nun weitergehen – mit Marc Ritter, dem Autor und mit der Reihe um Gonzo Hartinger?

Wir leben in einer merkantilen Welt. Hartinger wird weiterleben, wenn genug Bücher der Hartinger-Reihe gekauft werden. Die Leserinnen und Leser haben sein Leben in der Hand. In gewissem Sinne also auch mein Leben. Dieses plane ich aber so oder so noch ein wenig fortzuführen.

Was möchten Sie den Fans zum Abschluss noch mit auf den Weg geben? Eine Link- oder Lese-Empfehlung?

Man kann es nicht oft genug sagen:
Wer “Erfolg” von Lion Feuchtwanger nicht gelesen hat, sollte das tun, bevor er irgendein anderes Buch in die Hand nimmt.
Außerdem empfehle ich “Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts” von Jürgen Osterhammel sowie “Die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert” von Ulrich Herbert.
Und einen Link-Tip kann ich mir nicht verkneifen: www.marcritter.de ist die wahrscheinlich beste von mir selbstgemachte Website der Welt.

Vielen Dank für das aufschlußreiche Interview!

(Mit Marc Ritter tauschte sich sehr gern im Februar 2015 aus Chefredakteurin Michaela Pelz, die übrigens ebenfalls wärmstens empfiehlt, in die Tiefen der Ritterschen Website einzutauchen – da steckt viel mehr drin, als es auf den ersten Blick scheint)

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