Das Buch direkt bei Amazon bestellen Andrea Camilleri Christiane von Bechtolsheim
Der Hund aus Terracotta

Original: Il Cane di Terracotta
aus dem Italienischen von Christiane von Bechtolsheim
(2. Band)
editionLübbe gebunden
ISBN 3-7857-1510-2

Wenn sich Commissario Montalbano bisher auf etwas verlassen konnte, dann war es die Mafia. Diese hat - durch und durch sizilianisch wie er selbst - wenigstens ihre Prinzipien.
Das denkt der Commissario zumindest, bis er sich mit dem aufsehenerregenden Mord an dem landesweit gesuchten Verbrecher Tano u Grecu beschäftigt.
Daß es sich hier nicht um eine gewöhnliche Tat der Mafia handelt, wird Commissario Montalbano in dem Moment klar, als er bei seinen Nachforschungen durch Zufall auf ein weiteres, fünfzig Jahre zurückliegendes Verbrechen stößt. In einer Höhle entdeckt er - scheinbar kultartig inszeniert - die skelettierten Leichen eines Mannes und einer Frau in inniger Umarmung, bewacht von einem lebensgroßen Schäferhund aus Terracotta.

Rezension:
Dieser Kommissar, der Krimis liest von einem gewissen Montalban , in denen ebenso gern und lustvoll gespeist wird wie in seinem eigenen Hause, der einen Schulfreund hat, dessen Berufsbezeichnung nur mit Lude und Kleinganove widergegeben werden kann, und der einem Deal mit einem Kriminellen der alten Schule nicht abgeneigt ist, der hat uns gerade noch gefehlt!
Und zwar im positivsten Sinne des Wortes.
Denn, ganz ehrlich: Gibt es nicht schon genug feinsinnige, aber leider zutiefst melancholische, fast schwermütige Protagonisten in der internationalen Krimilandschaft, deren Leben mindestens so leidvoll scheint wie das der Opfer und Täter, mit denen sie tagtäglich zu tun haben?
Da freut man sich doch über einen wie Commissario Salvo Montalban, der fluchen kann wie ein Kutscher, bei Kollegen, die falsch, fies und hinterhältig sind, auch schon mal handgreiflich wird, der nachts am Strand spazieren geht und mit Vorliebe nackt badet und wenn er nicht die von seiner Haushälterin zubereiteten Köstlichkeiten vor dem Fernseher zu sich nimmt, über seine sexuellen Gefühle keine Zweifel aufkommen lässt.
Gut, Frauen gegenüber benimmt er sich teilweise wie ein Schwein. Auch für Team-Arbeit im allgemeinen und Freundschaften im besonderen hat er kein Händchen. Darüber hinaus ist seine Angst vor Veränderung so groß, dass er permanent mit allen Mitteln die Ernennung zum Vize-Questore torpediert.
Aber er ist ein Kerl aus Fleisch und Blut, dieser gebürtige Sizilianer, der sich älteren Menschen gegenüber so respektvoll verhält und gerne auch einmal zu unkonventionellen Mitteln greift, um die Ermittlungen zu beschleunigen (oder unkooperative Kollegen zu umgehen). Oder vielleicht nutzt er einfach nur die Gunst der Stunde, wie etwa im Fall der bildschönen Schwedin (der Montalban im ersten Band behilflich sein konnte), die eine ausgezeichnete Automechanikerin ist ...
Auch andere Querverbindungen, z.B. die zu den Finanzbehörden oder zur Presse, werden ganz selbstverständlich zum Einsatz gebracht. Das ist keine Fiktion, das ist eben so - und der Leser kennt ein solches Vorgehen ja bereits aus anderen in Italien spielenden Serien.
Camilleris Kunst besteht im wesentlichen darin, all diese Facetten so zu verweben, dass ein Erzählteppich entsteht, auf dem der Leser sich niederlassen möchte, um so bald nicht wieder aufzustehen. Dabei ist es fast nebensächlich wie "aktuell" der Fall ist, in dem der Kommissar durch den "Hund aus Terrakotta" auf die richtige Spur gebracht wird. Denn letztendlich ist dieser "nur" eine Geschichte in der Geschichte neben der Geschichte ... und der Weg zur Lösung mit all den damit verbundenen Erkenntnissen ist ebenso interessant wie die Auflösung selbst.
Die Handlung ist spannend und fast möchte man behaupten, der Roman würde trotz aller sich ereignenden Kapitalverbrechen von einer heiteren Note bestimmt - zumindest in den ersten zwei Dritteln. Mit dem Anschlag auf Montalban allerdings kippt die Stimmung, was der Qualität des Buches jedoch keineswegs schadet.
Die Charaktere sind durchgängig ausgesprochen lebendig gezeichnet - und stellenweise so skurril, dass der Autor sie gar nicht erfunden haben kann, wie etwa Agatino Catarella, den tumben Polizisten.
Von ihm, von Mimì Augello (Montalbans fähigem Vertreter, den er aber absichtlich oft nicht auf dem Laufenden hält) und all den anderen möchte man noch viel viel mehr lesen. Vor allem aber wollen die Fans wissen, wie es weitergeht, mit ihm, Montalban selbst, diesem nicht immer nur liebens-, aber stets beachtenswerten Mann mit all seinen Ecken, Kanten und Neurosen.

Miss Sophie