Das Buch direkt bei Amazon bestellen Patricia Cornwell
Wer war Jack the Ripper? - Porträt eines Killers

Original: Portrait of a Killer. Jack the Ripper. Case Closed
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Hainer Kober
Hoffmann und Campe gebunden
ISBN 3-455-09365-5

Zwischen August und November 1888 wurden in dem Londoner Stadtteil Whitechapel fünf Frauen ermordet. Es war vor allem die Grausamkeit, mit der sie umgebracht wurden, die große Panik unter der Bevölkerung hervorrief. Von da an hatte der Serienmord einen Namen: Jack the Ripper.
Seit über hundert Jahren ist die Identität des Serienmörders ungeklärt und eines der größten Geheimnisse der Kriminalgeschichte. Unzählige Theorien entstanden, die verschiedenste Täter präsentierten, unter anderem ein Mitglied des Könighauses, einen Barbier, einen Arzt und einen Künstler.
Patricia Cornwell hat ihre hervorragenden forensischen Kenntnisse und modernste polizeiliche Ermittlungsmethoden mit dem historischen Beweismaterial kombiniert und legt stichhaltige Beweise vor, dass der Täter der Whitechapel-Morde der berühmte Maler Walter Sickert gewesen sein muss.
Mit Hilfe neuester Techniken hat sie Walter Sickert als Urheber der berüchtigten Briefe ausgemacht, die der Whitechapel-Mörder einst an die Polizei schickte. Eine genaue Analyse seiner Gemälde zeigt, dass der Künstler darauf regelmäßig die gruselige Verstümmelung seiner Opfer darstellte.
Auch die Entwicklungsgeschichte von Sickert, dessen Jugend durch eine angeborene Missbildung beeinträchtigt war, liefert weitere Indizien. Alle Erkenntnisse zusammen ergeben das überzeugende Psychogramm eines Serienmörders.

Rezension:
Was genau die Bestsellerautorin Patricia Cornwell dazu veranlasst hat, sich auf fast obsessive Weise an die Aufklärung des wohl bedeutendsten ungelösten Kriminalfalls der Geschichte zu machen, erschließt sich dem geneigten Leser auch dann nicht, wenn er seine Lektüre der mehr als 400 Seiten beendet hat.
Und ob der Amerikanerin tatsächlich durch ihre akribische Arbeit gelungen ist, woran Experten jeglicher Fachrichtung 114 Jahre lang gescheitert sind, nämlich die Identität jenes Psychopathen zu enthüllen, der als "Jack the Ripper" in die Annalen einging, auch hierüber kann man geteilter Meinung sein.
Eins ist jedoch ganz klar: Lesenswert, spannend, unterhaltsam und hochgradig informativ ist dieses Sachbuch allemal!
Angeregt wurde die Ex-Gerichtsreporterin Cornwell zu ihrem Unterfangen durch eine Führung zu den historischen Stätten der Ripper-Morde, die ihr John Grieve, der stellvertretende Polizeipräsident, im Mai 2000 in London angedeihen ließ. Ursprünglich hatte die Autorin dieser Besichtigungstour nur aus Höflichkeit zugestimmt, doch dann muss sie wohl "Blut geleckt" haben. Schätzungsweise wurde ihr Ehrgeiz, neue Erkenntnisse zu liefern, in dem Moment geweckt, als Grieve, der - wie sie schreibt - angesehenste Ermittlungsbeamte Großbritanniens und Ripper-Experte, die Frage verneinte, ob man jemals versucht hat, die Verbrechen mit modernen gerichtsmedizinischen Methoden aufzuklären. Bei dieser Gelegenheit fiel auch der Name "Walter Sickert" zum ersten Mal.
Der 1860 in München geborene und 1942 verstorbene Maler machte sich vor allem durch sein Gemälde "Ennui" einen Namen, hat aber auch ein paar Mordbilder angefertigt. Unter diesen hat vor allem "The Camden Town Murder", bei dem ein vollständig bekleideter Mann auf einem Bett mit dem Leichnam einer nackten Hure sitzt, die er gerade umgebracht hat, schon in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass Sickert mit den Ripper-Morden in Verbindung gebracht wurde.
Egal, was letztendlich der Auslöser für Cornwell war, in die Materie einzutauchen, was sie dann tat, tat sie ausgesprochen gründlich. Wieder und wieder studierte sie nicht nur die Gemälde Sickerts, sondern auch 251 Briefe (bei denen die Ansicht darüber, ob sie tatsächlich vom Ripper selbst stammen oder das Produkt auf Effekthascherei bedachter Trittbrettfahrer sind, weit auseinander gehen - Cornwell vertritt die erstere Meinung). So intensiv war die Beschäftigung der Autorin mit ihrem Thema, dass sie nach eigenem Bekunden teilweise nachts nicht mehr schlafen konnte.
Berge von Material über die Lebensart und -umstände jener Zeit, von Operations- bis Ermittlungsmethoden und nicht zuletzt die Bedingungen, unter denen die Ärmsten der Armen ihr Dasein in den Slums fristen mussten, hat sie gelesen und recherchiert, so lange bis sie ein außerordentlich deutliches Bild entwerfen konnte, von dem, was sich ab dem 6.8.1888 Schreckliches in London (und anderswo) abspielte.
Anhand ihrer Fundstücke (nicht nur Briefe und Tagebücher, sondern auch Alltagsgegenstände und Waffen, die Cornwell auf Speichern, Flohmärkten und in Antiquitätenläden ausfindig machte) zeichnete sie die Ereignisse so plastisch nach, dass es dem Leser so vorkommt, als wäre die Amerikanerin dabei gewesen, als die schrecklich verstümmelte Leiche eines bedauernswerten Opfers auf einen Karren geladen und abtransportiert wird.
Mit dem permanenten Focus auf Walter Sickert dokumentiert die Autorin persönliche und gesellschaftliche Ereignisse aus seinem Umfeld und stellt sie so lange in Relation zu dem Verdächtigen, bis alle Puzzleteile passen.
Dem gutaussehenden Künstler wird nachgesagt, er habe unter einer schrecklichen Entstellung gelitten, die sein Liebesleben nachhaltig beeinträchtigte. Aus diesem und verschiedenen anderen, überwiegend in der Kindheit zu suchenden Umständen leitet Cornwell das Motiv für die Morde her: Gier nach sexueller Gewalt, Hass und ein übersteigertes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit.
Ihre These, warum es niemand anders als Sickert sein konnte, unterfüttert sie mit ausführlichen Analysen der Briefe, Beispielen von charakteristischen Redewendungen (hier muss dem Übersetzer Hainer Kober allergrößte Hochachtung gezollt werden, der es verstanden hat, selbst gereimte Textstellen trefflich ins Deutsche zu übertragen) und nicht zuletzt der Tatsache, dass der Künstler nachweislich nur das malte, was er auch einmal wirklich gesehen hatte.
Hundertprozentige Gewissheit, auch mit modernsten Methoden wird es wohl in diesem Fall nicht geben - die Leiche Sickerts wurde verbrannt und er hinterlässt (ebenso wenig wie seine Geschwister) keine direkten Nachkommen. Das was bisher an aufwendigen DNA-Tests durchgeführt wurde, brachte keine befriedigenden Ergebnisse. Vielversprechend scheint nur eine Übereinstimmung zwischen der auf einem Ripper-Brief gefundenen mitochondrialen DNA-Sequenz und jener auf einem von Walter Sickert stammenden Brief. Dennoch sind Cornwell und ihre Verbündeten vom Virginia Institute of Forensic Science and Medicine entschlossen, ihre forensischen Analysen fortzusetzen - wenn es sein muss noch über Jahre hinweg.
Dennoch: unabhängig davon, ob man sich Cornwells Beweiskette anschließen möchte oder nicht, ist ihr Werk in jeder Hinsicht ein unerschöpflicher Quell an interessanten Informationen rund um das ausgehende Viktorianische Zeitalter, eingängig geschrieben und, trotz seines Sachbuchcharakters, ausgesprochen flüssig zu lesen.

Miss Sophie