Das Buch direkt bei Amazon bestellen Andrea Schacht
Nehmt Herrin diesen Kranz

(2. Band - Alyss)
Blanvalet Taschenbuch
ISBN 978-3-442-37123-5

Während Köln sich für die Erntedankfeiern schmückt, hängt im Hauswesen derer van Doorne der Segen schief. Ausgerechnet zur bevorstehenden Weinlese erfährt Alyss, dass ihr Gatte Arndt den geliebten Weingarten verkauft hat, um Geld für seine undurchsichtigen Geschäfte in den Beutel zu bekommen.
Alyss' Zorn entzieht er sich, indem er eilends auf Handelsfahrt geht.
Nach seiner Abreise nimmt Alyss vorübergehend den sechsjährigen Kilian auf. Doch der goldlockige Sohn eines befreundeten Kürschners sorgt gleichermaßen für Unruhe: ein veritabler Satansbraten, der nur Unfug im Sinn hat.
Dann wird Kilian entführt. Und mit ihm zusammen verschwindet Alyss' Brautkrone, der wertvollste Bestandteil ihrer Mitgift.
Wer steckt dahinter - und warum?

Rezension:
Wenn Andrea Schacht mit leichter Hand in ihre Mittelaltergeschichten einsteigt, dann lacht das Leserherz, so wie sich die Protagonistin über den in aller Herrgottsfrühe krähenden Hahn amüsiert und über die Balgereien zwischen Hund und Katz oder die Kabbeleien ihrer jungen "Pensionisten", also der in ihre Obhut gegebenen Teenager schmunzelt.

Kurz darauf jedoch wird mit wenigen Sätzen klar, dass dieses Leben der heiteren Alyss alles andere als eitel Sonnenschein ist, zeigt die Aktion ihres Gatten, den sie selbst der Verschwendung überführt hatte und der als Retourkutsche nun ihren geliebten Weinberg verkauft, doch schnörkellos, wie ohnmächtig auch das klügste und beliebteste Weib in diesen Zeiten war, wenn dies dem bösen Gemahle nicht gefiel.

Währenddessen macht sich Alyss Zwilingsbruder Marian daran, dem Mord am Schwager seiner Schwester (siehe auch den ersten Band der Reihe: "Gebiete sanfte Herrin mir" noch mehr auf den Grund zu gehen, als dies durch die Ermittlung des Täters und seiner Überstellung in die Obhut der Gerichtsbarkeit der Fall war.

Ebenso patent wie seine Schwester hat er es sich auf die Fahne geschrieben, Arzt, nein "Heiler" zu werden - also keiner dieser vornehmen Doctores, deren Heilkunde sich meist im Aderlass erschöpft, sondern jemand, der sich mit der menschlichen Anatomie und allen Formen von Krankheiten und Verletzungen auskennt.
Darum hatte er ja im letzten Band, als Frau verkleidet, bei einer Hebamme hospitiert, und geht nun - gut verhüllt, damit ihn keiner der ehrbaren Bürger erkennt - dem Scharfrichter zur Hand, wenn dieser bei schweren Verletzungen oder zum Knocheneinrenken gerufen wird.
Fürwahr keine leichte Aufgabe, da Marian eine ganz besondere Antenne für das Leid und die Schmerzen anderer besitzt - aber ein wichtiger Meilenstein auf seinem Weg, durch den er nicht nur seine Kenntnisse des menschlichen Körpers und manch nützlicher Handgriffe erweitert, sondern auch Verbindungen zu gar unterschiedlichen Menschen aller Gesellschaftsschichten knüpfen kann.

Natürlich darf auch diesmal Master John nicht fehlen, der englische Freund, Ex-Geschäftspartner und Erbe des Besitzes von Alyss ermordetem Schwager.
Er ist nicht nur klug und reich an Kontakten in alle Welt, sondern auch unerschrocken und kräftig, was bei der Jagd nach den Entführern von Gastkind Kilian von entscheidender Bedeutung wird ...

Es geht - wie immer in Schachts Romanen - ausgesprochen turbulent zu: Da begeben sich die Helden für ihre Ermittlungen in Badehäuser und Kaschemmen, mischen sich unter das Hafengesindel, Spielleute und Bettler.
Manch einer will ihnen Übles - dann wieder erfahren sie unerwartete Hilfe von ganz anderer Seite. Und immer wieder trifft der Leser dabei auf "alte" Bekannte:
So darf Pitter, der Ex-Päckelchensträger, eine feste Größe für alle Fans der Almut- Serie, ebenso wenig fehlen wie Trine, die stumme Apothekerin.
Gleichzeitig werden neue Charaktere eingeführt, von denen man in Zukunft (hoffentlich!) noch viel hören wird, wie etwa Magister Jakob, der rührige, aber etwas steife Notarius oder Gislindis, des Messerschleifers Tochter, die viel weiß und noch mehr von dem, was sie erahnt, für sich behält.

Wie gewohnt, lebt das Buch einerseits von seinen Dialogen - so geschliffen, witzig, spritzig, aber auch so lebensecht, dass man sie fast vor sich hört, die Baderin mit dem neuesten Klatsch, die gestrenge, aber grundgute Köchin, die eitlen Jüngferchen und tapferen Rittersleut, den verfressenen Kaplan und die armen Bauern, die sich mit ihrem Los arrangieren müssen.

Andererseits gelingt es Schacht, dem Leser tatsächlich ein Gefühl für die mittelalterlichen Zustände zu vermitteln:
Die Willkür, der jene ausgesetzt sind, die das Schicksal nicht so überreichlich bedacht hat, wo Gerechtigkeit oft eine Frage der finanziellen Möglichkeiten oder gesellschaftlichen Verbindungen ist.
Die streng an den üblichen Konventionen orientierte Lebensweise: Eine Tochter hat erst ihrem Vater oder Bruder zu gehorchen, dann dem für sie auserwählten Gatten. Und wer bis zum vierzehnten, fünfzehnten Lebensjahr noch keinen passenden Bewerber gefunden hat, für diejenige wird es eng ...
Schlimm, wenn sich dann die Liebe mit aller Macht Bahn bricht, da wo sie nicht sein darf ... - weil der potentielle Partner nicht standesgemäß oder bereits vergeben ist, selbst wenn es sich um eine durch und durch unglückliche Verbindung handelt.

Alles in allem ist dieser kraftvolle und gleichzeitig herzerwärmende Roman so geschrieben, dass man ihn, einmal begonnen, nicht mehr aus der Hand legt, bevor die letzte Zeile des letzten Minnegedichtes geseufzt ist.
Es wird geliebt, gehasst, gelacht, gerauft, gelitten und auch manches Mal zu oft gestorben. Das pralle Leben halt - und der Leser mittenmang dabei.

Nur schade, dass es bis zum nächsten Band wieder geraume Zeit dauert - und wie gut, dass mit "Das Spiel des Sängers" schon ganz bald, nämlich bereits Ende Juni 2010, einen neuen "Schacht" gibt - ganz anders geartet, aber ebenso lesenswert wie die Almut- und Alyss-Reihen.

Miss Sophie