Das Buch direkt bei Amazon bestellen Angela Eßer Heidi Keller
Finsterböses Bayern

Allitera Verlag, Broschur
ISBN 978-3-86906-499-4

25 renommierte Krimi-Autoren, in Bayern geboren oder dort lebend, haben sich den dunklen Seiten ihrer Heimat gewidmet und zeigen in hochspannenden, skurrilen, amüsanten und bewegenden Kurzkrimis:
Das Verbrechen lauert immer und überall, im Freistaat und darüber hinaus.

Karitatives Projekt:
Reinerlös geht an den Bayerischen Hospiz- und Palliativverband!

Autorinnen und Autoren:
Friedrich Ani
Volker Backert
Jan Beinßen
Angela Eßer
Nicola Förg
Werner Gerl
Katharina Gerwens
Michael Gerwien
Lisa Graf-Riemann
Harry Kämmerer
Thomas Kastura
Lotte Kinskofer
Roland Krause
Iris Leister
Christian Limmer
Harry Luck
Felicitas Mayall
Stefanie Mohr
Oliver Pötzsch
Billie Rubin
Frank Schmitter
Michael Soyka
Ingeborg Struckmeyer
Georg Unterholzner
Dieter Weißbach

Rezension:
Krimi-Kurzgeschichten als "Morden für den guten Zweck" ... so formuliert es der Geschäftsführer des Bayerischen Hospiz- und Palliativverbands, Dr. Erich Rösch, in seinen einleitenden Worten.
Genau das haben die 25 Autorinnen und Autoren getan, indem sie im vorliegenden Buch über das Sterben und den Tod - aber eigentlich immer wieder über das Leben geschrieben haben.

Denn natürlich geht es zu allererst um Beziehungen zwischen durchaus lebendigen Männern und Frauen, Eltern und Kindern, Geschwistern, Nachbarn, Rivalen ...
Menschen, die sich erst in Liebe, aber dann nicht selten in Eifersucht, Rachegefühlen oder gar Hass verbunden sind.
Was wiederum zu unkontrollierten oder im Gegenteil von langer Hand geplanten Aktionen führt. Oder zu unausweichlichen Konsequenzen für böse Taten ...

Wie etwa in Friedrich Anis "Im Paradies", wo sich zwei sehr ungleiche WG-Genossen zusammenfinden - der schweigsame Ich-Erzähler und der Hauptmieter, ein Mensch, der nur existieren kann, wenn er redet, andere dominiert, quält, seine Überlegenheit zeigt. Einer, der in all seinem Tun immer die Oberhand behält. Zumindest zunächst ...

Ähnliches gilt für Thomas Kasturas tragische Verbrechergeschichte "Fear", die fast ironisch-amüsant beginnt, mit der Anwesenheit eines "Lebenslänglichen" zum Weihnachtsessen in einer guten, bürgerlichen Familie. Im Gegensatz zu fast allen anderen Beiträgen ist sie nicht in Bayern angesiedelt, sondern in den USA - mit einem Grundmotiv jedoch, das international Gültigkeit besitzen dürfte.
Sehr gekonnt entlarvt der Autor gleich zu Anfang die Lügenfassade des gut situierten Anwaltsehepaars mit halbwüchsiger Tochter, bevor die Stimmung nach und nach kippt, während die Hintergründe der Tat zutage treten, für die der Geladene büßt.
Es ist eine jener Geschichten, in denen die genannten Eckpunkte Stoff für einen kompletten Roman bieten, der auch in größerer Ausführlichkeit tragfähig wäre.

Dies lässt sich auch über "Der verschwundene Flößer" von Georg Unterholzner sagen. Der historische Kurzkrimi, den der Tiermediziner im Grünwalder Forst angesiedelt hat, stellt zwar den Höhepunkt der Suche nach einem abgängigen Floßmeister dar. Mit allen Spannungselementen, die es braucht, um den Leser von Anfang an zu fesseln - Hund, einsames Gasthäusel im Wald, ein Mann mit Pistole, eine Gruppe mutmaßlicher Wilderer ...
Doch in der Rahmenhandlung geht es um all die Aspekte, die man für große Geschichten braucht: eine ausschweifende Jugend, die falsche (oder richtige?) Berufswahl mit allen Konsequenzen, Liebe ... und natürlich Geld.
Fast möchte man bedauern, dass am Ende der Täter dingfest gemacht und der Fall gelöst ist, so schön ist dieses Hineintauchen in eine ganz andere Welt.

Wer die Vergangenheit mag, wird auch an "Der Fall Ludwig" von Oliver Pötzsch seine Freude haben. Sehr schön rund und dabei durchaus humorvoll zeigt er, wie Anno 1911 Polizeiarbeit geleistet wurde - von einem an den Starnberger See strafversetzten Franken mitten unter königstreuen Akademikern, Aristokraten und Geldsäcken.
Der unglückliche Tod eines der ihren im See, direkt vor der Berger Votivkapelle, wo man sich zu Ehren des verblichenen "Kini", Ludwigs II. versammelt hat, stellt den braven Gendarmen vor große Herausforderungen. Doch ist der Mann gewiefter als die hohen Herren denken und löst geradlinig und mit Spürnase ganz klassisch den Fall.

Selbiges darf auch Angela Essers Commissario in "Nessun Dorma" von sich behaupten. Bevor der Mann die Vorgänge rund um den Tod eines Busfahrers aufklären kann, muss er sich allerdings durch die Befragung von bald drei Dutzend Augsburger Senioren auf kulinarischer Erkundungstour in Bella Italia quälen. Eine Tortur, die die Autorin auf so vergnügliche Weise schildert, dass sie dem Leser trotz der unglücklichen Umstände ein Lächeln auf die Lippen zaubert.

Überhaupt finden sich erfreulich viele schwarzhumorige Stories in dieser Sammlung, bei denen der Krimifreund nicht umhin kann, die Täter wahlweise zu bewundern oder zu belächeln - in der Gewissheit, dass hier nur literarisch gestorben wurde.
Sei es nun als notwendiger Befreiungsschlag von der ehelichen Gängelung, wie bei Lotte Kinskofers "Perfektes Timing". Oder als Reaktion auf eine insgesamt unerfreuliche Mietsituation wie bei Billie Rubins "Tür an Tür mit Malice". Oder schlichtweg aus Eifersucht wie in Iris Leisters wunderbar skurriler Story "Drei, zwei, eins - deins".

Natürlich dürfen in einem Sammelband bayerischer Kriminalkurzgeschichten die Verweise aufs bäuerliche Leben nicht fehlen. Sei es in Nicola Förgs "Jessas", wo neben dem geheimnisvollen Verschwinden eines Mannes gefolgt von einem Leichenfund der Wandel der Kultur und die Abwendung von bisherigen Werten wie Vereinsleben und traditionelle Tierhaltung in einer launigen Geschichte thematisiert werden, die trotz ihres humorvollen Charakters spannend bleibt bis zu Schluss.
Oder in "Alte Schätzchen" von Katharina Gerwens, in der eine niederbayerische Bäuerin und ein Staatsanwalt mit gemeinsamer Leidenschaft für Traktoren nicht zusammenkommen können, bevor nicht mit weiblicher Tücke ein schurkischer Schürzenjäger ausgeschaltet wird.
Oder in Harry Lucks großartiger "Bauer-sucht-Frau-Persiflage" "Kreuther Gschnetzeltes", die sich ebenfalls mit Liebe im Landleben befasst.

Besonders erwähnenswert, weil jenseits der üblichen "Beziehungsgeschichten" sind schließlich Harry Kämmerers "Licht aus" und Felicitas Mayalls "Winterkrimi".
Beide Male stehen - sehr unterschiedliche! - Männer im Mittelpunkt, die an einem Scheideweg ihres Lebens angekommen zu sein scheinen. Jeder von ihnen hat das Gefühl, etwas ändern zu müssen - beide spielen sie mit dem Gedanken an das perfekte Verbrechen. Zahlreiche Zweifel, ein Anflug von Wahnsinn hier, ein Trugschluss, eine Läuterung da und schließlich ein äußerer Einfluss, der die Wendung bringt ... das alles sind die Zutaten für zwei wirklich ungewöhnliche und sehr gelungene Geschichten.

Noch viel mehr könnte man sagen über die lesenswerten Beiträge dieser Anthologie - aber nicht unerwähnt soll, ja muss der Anhang bleiben, in dem übersichtlich, knapp, dabei doch aussagekräftig die Arbeit der Hospizbewegung vorgestellt wird.

Viele der geschilderten Details berühren Aspekte des Lebens, über die die meisten Menschen am liebsten weder etwas hören, noch nachdenken wollen. Mit zu vielen Tabus sind "Tod und Sterben" heute behaftet. Vielleicht hofft der eine oder die andere auch, ein konsequentes Verdrängen und Schweigen über das Unausweichliche könne das Ende des eigenen Lebens hinauszögern. Oder auf magische Weise den Verlust eines geliebten Angehörigen oder Freundes verhindern.

Das geht natürlich nicht. Ob man darüber spricht oder nicht, es wird weiter gestorben. Zu Hause, in Klinik, Hospiz und Altenheim.
Aber - und das ist das große Anliegen der Hospizbewegung weltweit: Niemand soll mit seinen Schmerzen und Nöten allein und außerhalb der Gesellschaft sein, wenn Heilung nicht mehr möglich ist.
"Sie sind bis zum letzten Augenblick Ihres Lebens wichtig." sagte die Engländerin Cicely Saunders (1918-2005), Begründerin der modernen Hospizarbeit, die sich auf die Fahne geschrieben hat, "Wir können Ihrem Leben nicht mehr Tage, aber den Tagen mehr Leben geben".
Wie das im Einzelnen aussieht, wie Palliativmedizin und -pflege Hand in Hand einhergehen mit emotionaler und spiritueller Begleitung, um die Lebensqualität lebensbedrohlich erkrankter Patienten und ihrer Familien zu verbessern, welche Angebote es von Haupt- und Ehrenamtlichen gibt - das alles wird am Ende des Buches erläutert.

Auf diese Weise erfahren Leserinnen und Leser einerseits, wie der "gute Zweck" genau aussieht, den sie durch den Kauf des Buches begünstigen - sie (und SIE!) erhalten aber auch die Möglichkeit, sich auf zwanglose Weise mit diesem wichtigen Thema zu beschäftigen.
Miss Sophie