Andrea Camilleri
Die Form des Wassers
Original: La Forma Dell'Acqua
"Was machst Du da?" fragte die Witwe des Ermordeten einst einen kleinen Jungen, der am Brunnenrand alle möglichen Dosen, Kannen und Flaschen randvoll mit Wasser füllte. Das Kind antwortete mit einer Gegenfrage: "Welche Form hat Wasser?"
Rezension:
Miss Sophie
Name: Nina
Vom ersten Band bis zum letzten - inklusive der zwei mit den Kurzerzählungen - begibt man sich Mitten in die Ferien! Falls ich die Bücher nicht gerade am Stück gelesen habe, ging ich bei jedem Aufschlagen wieder neu nach Sizilien. Man kann wunderbar in die Welt des Commissario Montalbano eintauchen, mit Haut und Haaren seine Fälle miterleben und erfrischt in seinen eigenen ALltag zurück kehren. Wer Krimis mag und diese noch nicht gelesen hat: ran an die Bücher, ihr werdet es nicht bereuen! Aber Achtung: Suchtpotential!
aus dem Italienischen von Shahrzad Assemi
(1. Band)
editionLübbe gebunden
ISBN 3-7857-1509-9
"Aber Wasser hat doch gar keine Form! Es nimmt die Form an, die man ihm gibt!"
Wie mit dem Wasser, so verhält es sich mit dem mysteriösen Todesfall an der Mà nnara, einem Streifen mediterraner Macchia an der Südküste Siziliens. Dort, in einer Art Bordell unter freiem Himmel, hat man einen Toten gefunden, den feinsinnigen und generösen Ingenieur Luparello, zu dem der kompromittierende Ort seines Hinscheidens so gar nicht passen will.
War es ein Verbrechen, und - wenn ja - wer sind die Schuldigen? Und das Motiv? Geld? Macht? Mordlust? Das hängt, muß Commissario Montalbano erkennen, ganz von der Form ab, die man dem Fall gibt. Eben wie beim Wasser. Jedenfalls weigert er sich, die Sache einfach als Unfall zu den Akten zu legen, wie man ihm höheren Orts nahelegt...
Der Protagonist dieser neuen Serie ist ein ganzer Kerl. Ein Mann aus Fleisch und Blut, der gutes Essen liebt und dem Anblick einer schönen Frau nicht abgeneigt ist - allerdings immer noch in der Lage, seine Hände bei sich zu behalten (eine reife Leistung für einen Vollblut-Sizilianer). Dabei trotz seiner Position als Polizei-Kommissar (ganz wichtig: bitte nie verwechseln mit einem Angehörigen der Carabinieri, also der uniformierten Exekutive!) am Puls seiner Mitbürger. Einer also, der die Kleinen lieber einmal zu viel laufen lässt, als jemand in die Pfanne zu hauen, der aus der Not oder aus purer Dummheit heraus, falsch gehandelt hat.
Andererseits ist dieser Salvo Montalban aber keiner, den man ungestraft zum Narren halten kann. Da wird er dann schon mal grob, ja sogar, wenn es sein muss, handgreiflich. Auch seine Sprache ist zuweilen durchaus so derb und deftig, dass man wohl mit Fug und Recht eher davon ausgehen kann, hier eher einen italienischen Schimanski als einen Derrick vor sich zu haben.
Dieser Mann nun lebt in einer Stadt, in dem es nichts wirklich ungewöhnliches, sondern höchstens eine lästige Angelegenheit ist, wenn die Reifen der Peterwagen alle zwei Tage aufgeschlitzt werden. Sein Wirkungskreis umfasst ein Umfeld, in dem Akademiker ohne die richtigen Beziehungen unweigerlich bei der Müllabfuhr landen (und auch noch froh darum sein müssen) und wo der Amtsschimmel über höchst verschlungene Wege galoppiert, bevor er den Würdenträgern von Staat und Kirche nach dem Maul wiehert.
Für jeden Nicht-Italiener mögen die Sachverhalte, die Camilleri lakonisch, aber mit einem wundervoll sarkastischen Unterton, beschreibt, zuweilen wie eine einzige Übertreibung klingen. Für jeden, der schon einmal in der Stiefel-Republik gelebt hat, beschreibt der Autor ohne falschen Pathos und dennoch zu Herzen gehend das Schicksal einer ganzen Region.
Dort wo Korruption, Erpressung und Nötigung an der Tagesordnung sind; unverhohlener vielleicht als anderswo, da müssen auch Beamte wie Montalban und seine Kollegen zu unkonventionellen Mitteln greifen, um einen Fall von gewisser Brisanz zu lösen. Denn ein gerade gewählter Provinzsekretär, der mit heruntergelassenen Hosen mitten im Müll tot aufgefunden wird, ist auch in einer Gegend, in der tote Mafiosi keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken, kein Fall wie jeder andere.
Viele menschliche Schicksale, in denen Liebe wie Machthunger, aber auch Würde keine geringe Rolle spielen, offenbaren sich dem Kommissar und damit dem Leser. Der am Ende vor einer politisch keineswegs korrekten Auflösung steht und nicht weiß, was überwiegen soll: die leise Befriedigung, dass die Schurken ihrer "gerechten" Strafe nicht entgehen oder doch die Trauer um so manches verpfuschte Leben ...
Ein Roman also, in dem sich - wie in jeder guten "Commedia" - Ironie und Tragik die Waage halten. Und ein fulminanter Auftakt für eine Serie, deren einzelne Bände darüber hinaus durch die vielen Telefonate und Unterhaltungen förmlich danach schreien, die Fans auch in Form eines Hörspiels zu erfreuen.
Email: ftanfan@gmx.ch
Datum: 3.8.2004 (22:30)