Das Buch direkt bei Amazon bestellen Maj Sjöwall Per Wahlöö
Der Mann auf dem Balkon

(3. Band)
Original: Mannen pa° balkongen
rororo TB
ISBN 3-499-42186-0

Der gute Onkel hat bereits zwei kleine Mädchen in die Parkanlagen gelockt und umgebracht. Die gesamte Polizei von Stockholm ist auf den Beinen, um den Unbekannten zu suchen, von dem sie nur eines weiß: Er ist ein Lustmörder.

Die Kleine lag mit gespreizten Beinen auf der feuchten Erde, halb unter einem Busch verborgen. Das Gesicht mit dem offenstehenden Mund war bläulich angelaufen. Der rechte Arm war über den Kopf gewinkelt, die linke Hand lag neben der Hüfte, die Handfläche nach oben.
Sie war ungefähr neun Jahre alt.
Und sie war tot. Erwürgt.
Und es bleibt nicht bei diesem einem Kindesmord.
Die gesamte Stockholmer Polizei - vorab Martin Beck und seine Kollegen vom Kriminaldezernat - jagt ein Phantom: einen Sexualverbrecher, von dem sie in den ersten Tagen nicht mehr wissen, als daß er männlichen Geschlechts ist.
Nach tagelanger Arbeit endlich der erste Fortschritt: Seit Wochen treibt sich in den Stockholmer Anlagen ein Mann herum, der sich darauf spezialisiert hat, Frauen niederzuschlagen und ihnen die Handtaschen wegzureißen. Am Tag des Mordes, beinahe zur gleichen Zeit, hatte er unweit des Tatortes wieder eine Frau überfallen; es war anzunehmen, daß er vorher das Terrain ausgekundschaftet und dabei möglicherweise den Mörder gesehen hatte. Dieser Mann ist jetzt gefaßt worden - und tatsächlich kann er jemanden beschreiben, der mit großer Wahrscheinlichkeit der Triebverbrecher ist.
Eine Beschreibung, die auf Tausende von Stockholmer Bürgern zutrifft. Trotzdem erweckt sie eine Erinnerung in Martin Beck. Irgend jemand hatte vor gar nicht langer Zeit mit praktisch den gleichen Worten einen Mann beschrieben...
Wer war das gewesen? Wo war das gewesen? Bei welcher Gelegenheit? Martin Beck weiß, daß alles Nachdenken nichts nützt, er kann nur hoffen, daß irgendeine Situation, ein Wort, eine Ideenassoziation die Erinnerung wieder wachruft...
Plötzlich sieht er sich wieder neben einem Kollegen stehen, der geduldig einen der vielen telefonischen Hinweise entgegennimmt, mit denen die Beamten der Stockholmer Polizei tagtäglich überschüttet werden, und murmelnd die beschreibenden Worte seiner Gesprächspartnerin wiederholt.
In der Erinnerung an diese, wie er damals gemeint hat, belanglose Szene liegt der Schlüssel zur Lösung. Nur eines weiß Martin Beck nicht: wo er das Schloß suchen soll, zu dem der Schlüssel paßt.

Rezension:
Auch bei diesem dritten Band ist das Gefühl, das den Leser bei der Lektüre befällt, gleichzusetzen mit den Emotionen der ermittelnden Beamten. Man hat kapitellang mit einer Dringlichkeit ohne konkreten Handlungsspielraum zu kämpfen, so daß man am Ende einen solchen Knoten in der Kehle spürt, daß die Erfassung des Täters fast zu einer körperlichen Reaktion führt.
Gleichzeitig benutzen Sjöwall+Wahlöö dieses Band dazu, sowohl die Crew der Polizeibeamten, die auch bei den kommenden Fällen Hauptfiguren sein werden, näher und persönlicher zu beleuchten, als auch zur deutlichen Herausstellung ihrer politischen und sozialkritischen Überzeugungen. Wie in vielen ihrer Fälle ist auch hier der Täter ein nicht wirklich Verantwortlicher!
Fehlte der herrlich bissige Humor, der diese Serie außerdem noch auszeichnet, auch bei dem letzten Band, so ist er dafür in diesem von Anfang an vorhanden. Und man genießt ihn bei der beklemmenden Geschichte um so mehr, als die Tatumstände der Kindesmißhandlung vor dreißig Jahren offenbar noch sehr viel eher totgeschwiegen wurden und auf keinen Fall mit all ihren wirklichen Details in einem solchen Roman landeten!
(Ich persönlich weiß nicht mal, ob es nicht schon ein Skandal an sich war, über dieses Thema überhaupt zu schreiben!)

Erika Drake