Das Buch direkt bei Amazon bestellen Minette Walters Mechthild Sandberg-Ciletti
Schlangenlinien

Original: The Shape of Snakes
Deutsch von Mechthild Sandberg-Ciletti
Goldmann gebunden
ISBN 3-442-30871-2

Ann Butts hat es nicht leicht unter den Anwohnern der Graham Road in Richmond. Sie leidet an einer seltenen Krankheit, die ihr den Ruf der "verrückten Annie" eingebracht hat, und so lebt sie einsam und zurückgezogen einzig in der Gesellschaft ihrer geliebten Katzen.
Auch die junge Mrs. Ranelagh, die ebenfalls in der Graham Road lebt, kennt sie nur vom Sehen. Als Mrs. Ranelagh eines Abends bei strömendem Regen auf dem Weg nach Hause ist, muss sie allerdings eine grauenhafte Entdeckung machen: Annie liegt mit tödlichen Verletzungen im Rinnstein - und im letzten Blick der Sterbenden scheint die stumme Bitte nach Aufklärung der Wahrheit zu liegen.
Mrs. Ranelagh wird den schrecklichen Verdacht nicht los, dass die Außenseiterin grausam ermordet wurde, und sie beginnt zu recherchieren.
Doch Annies Schicksal ruft bei den Ermittlern keinerlei Interesse hervor: Für die Polizei steht fest, dass Annie aufgrund ihrer Trunksucht einem Verkehrsunfall zum Opfer fiel.
Und auch bei den Anwohnern der Graham Road stößt Mrs. Ranelagh auf eine Mauer des Schweigens und der Ablehnung.
Doch Annies Schicksal verfolgt sie wie ein schwarzer Schatten und sie ist fest entschlossen, sich bei ihrer Suche nach Gerechtigkeit nicht beirren zu lassen - selbst als ihr eigenes Leben daran zu zerbrechen droht ...

Rezension:
Wenn Minette Walters sich eines Themas annimmt, dann darf der Leser gewiss sein, dass es ein brisantes ist, und die Autorin sich auch nicht scheut, die Dinge plastisch und drastisch zu schildern. Selbst oder gerade dann, wenn es um Gewalt geht.
So geschehen in diesem hervorragenden Buch, das sich, eindringlich geschildert, und ganz ohne den berühmten "erhobenen Zeigefinger", schonungslos mit den Themenkomplexen Rassismus - Vorurteile - Diskriminierung in jeder Form auseinandersetzt.
In "Schlangenlinien" schickt Walters ihre "Ich"-Erzählerin auf die Suche nach dem Schuldigen eines Verbrechens, das bereits 20 Jahre zurück liegt. Ein Verbrechen, das zunächst niemand außer der, damals noch jungen, Frau für ein solches hielt und an dessen Aufklärung sie seinerzeit kläglich scheiterte.
Nach einem längeren Auslandsaufenthalt geht sie die Sache nun ein zweites Mal an - fest entschlossen, sich durch nichts und niemanden von ihren Recherchen abbringen zu lassen und gestärkt durch wesentlich mehr Kraft, Durchsetzungsvermögen und nicht zuletzt Lebenserfahrung.
Dass die selbst ernannte Detektivin nunmehr auch über eine Fülle von zwischenzeitlich gesammelten Informationen verfügt, tut ein übriges, um die Zahl potentieller Verdächtiger rapide ansteigen zu lassen. Alle mit einem Motiv und sogar der Gelegenheit, die Tat begangen zu haben.
Diese Entwicklung ist spannend, außerordentlich spannend. Zumal die Autorin in der ihr eigenen gekonnten Art den Leser buchstäblich bis zur letzten Seite auf die Folter spannt, während sie einen "Schleiertanz" aufführt, bei dem die Zusammenhänge erst nach und nach enthüllt werden, bis sich am Schluss ein logisches Gesamtbild ergibt; und auch das ist nicht in jeder Hinsicht vollständig.
Doch damit nicht genug. Minette Walters wäre nicht die von Millionen Fans verehrte Krimischriftstellerin, wenn sie die Leser nicht mit ihren Werken aufrütteln und über das gewöhnliche Maß hinaus "beunruhigen" würde. Was ihr mit diesem außerordentlich verstörenden Roman zweifelsohne gelungen ist.
Denn hier sind alle Täter und Opfer gleichzeitig - inklusive der Protagonistin, die sich zwar sympathisch präsentiert, aber nicht als die klassische "strahlende Heldin", sondern als vielschichtiges menschliches Wesen mit zuweilen fast Zügen von Grausamkeit.
Und ganz nebenbei wird der Leser veranlasst, neu nachzudenken, über den "kleinen Rassisten", der tief drin in jedem von uns steckt - die Angst nämlich vor dem Fremden, dem Ungewohnten und vielfach Unverständlichen.
Am Ende bleibt das Gefühl, einen ungeheuer spannenden Krimi gelesen zu haben - der einen aber auch im Anschluss noch etliche Tage durch das Alltagsleben begleitet.

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