Das Buch direkt bei Amazon bestellen Victoria Thompson
Mord in Greenwich Village

Original: Murder on Astor Place
Heyne TB
ISBN 3-453-17768-1

New York, Ende des 19. Jahrhunderts.
In einem Mietshaus wird ein junges Mädchen ermordet aufgefunden. Zufällig ist die Hebamme Sarah Brandt am Tatort. Sie erkennt in der Toten die Tochter einer der reichsten Familien New Yorks.
Frank Mallory, der ermittelnde Sergeant, bittet Sarah daraufhin widerwillig um Hilfe, denn auch sie stammt aus der Oberschicht und war mit der Familie der Toten befreundet.
Doch auf der Suche nach dem Mörder muss sich Sarah mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzen.

Rezension:
Kennen Sie das? Sie legen ein Buch aus der Hand (ein Buch, wohlgemerkt, das Sie bis zur letzten der 318 Seiten auch dann nicht weggegeben hätten, wenn man Sie dafür hätte bezahlen wollen) und wünschten, Sie könnten in eben dieser Sekunde einen weiteren Roman desselben Autors verschlingen - am allerbesten aus der gleichen Serie.
Genau das passiert Ihnen mit dem vorliegenden Krimi.
Vorausgesetzt Sie haben ein Faible für folgende Komponenten: viktorianisches Ambiente, ein dramatischer Mordfall, eine Frau, die sich als "Aussteigerin" über alle Konventionen hinwegsetzt und dennoch ihre Kontakte zur "feinen Gesellschaft" im richtigen Moment auf die richtige Weise nützt, einen "bärbeißigen, kantigen, und im ersten Augenblick alles andere als gütigen" Detective Sergeant, der nach und nach eine beachtliche Wandlung durchmacht und nicht zu vergessen, zwischendurch die eine oder andere Entbindung.
Kein Wunder also, dass die Leserin (und es werden wohl mehrheitlich Frauen sein, die der Faszination dieses Romans erliegen, wie auch Erfolgsautorin Anne Perry, deren Geschichten in derselben Epoche, wenn auch in England spielen, überwiegend weibliche Fans hat) die Augen kaum von den Seiten wenden mag, während sich Hobbydetektivin und Berufspolizist, jeder auf seine Weise, auf die Suche nach den Umständen machen, die zum Tod der bedauernswerten kleinen Alicia geführt haben.
Da werden Zeugen befragt, bedroht, bestochen (auf einem hochherrschaftlichen Landsitz ebenso wie in den finstersten Kaschemmen der Stadt) Spuren entdeckt, Schlussfolgerungen gezogen und wieder verworfen - und "ganz nebenbei" die privaten Konflikte der Hauptfiguren aufgedeckt.
Die Charaktere sind hervorragend gezeichnet - von den "kleinen Leuten" in der Lower East Side über die, in jenen Zeiten mehrheitlich korrupten New Yorker Polizeibeamten bis hin zur abergläubischen Nachbarin, die genau weiß, dass Besuch ins Haus steht, wenn beim Brotbacken die Kruste aufbricht.
Auch ihre Protagonisten hat die Autorin hervorragend gewählt: als Hebamme hat Sarah Brandt nicht nur Zugang zu allen Gesellschaftsschichten, sondern es ist ihr auch nichts Menschliches fremd. Zudem schärfen die tragischen Ereignisse ihrer eigenen Vergangenheit das Gespür der Mitdreißigerin für ungesagte Dinge.
Frank hingegen, der Gesetzeshüter, dem das Schicksal ebenfalls böse mitgespielt hat, muss sich seiner positiven Wesenszüge erst so langsam bewusst werden - und seiner Gefühle für die junge Witwe, die sich so unerschrocken in die "schmutzige" Polizeiarbeit mischt.
Vielversprechende Ansätze, die darauf hoffen lassen, dass das unfreiwillige Gespann in der Zukunft nicht nur weiter scharfsinnig Verbrechen aufdeckt, sondern sich auch persönlich ein wenig näher kommt ...

Miss Sophie