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Acqua Alta - Commissario Brunettis fünfter Fall

(5. Band)
Original: Acqua Alta
Diogenes TB
ISBN 3-257-23118-0

Als die amerikanische Archäologin Brett Lynch im Flur ihrer Wohnung in Venedig von zwei Männern zusammengeschlagen wird, regt sich außer Brunetti kaum jemand auf. Schließlich ist Lynch nicht nur Ausländerin, sondern, wie es heißt, auch noch Frauen mehr zugetan als Männern und mit einer Operndiva liiert.
Als zwei Tage später jedoch der renommierte Museumsdirektor Dottor Semenzato ermordet aufgefunden wird, ist ganz Venedig entsetzt.
Brunetti will beide Fälle mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit aufklären - zumal die Betroffene Brett Lynch und ihre Freundin Flavia Petrelli ihm nahe stehen seit jenem Abend in der Oper, der für den Dirigenten Wellauer zu seinem "Venezianischen Finale" wurde.
Brunetti geht der Sache nach - und nicht nur die Spannung steigt, sondern auch der Wasserpegel.

Rezension:
Fast traut man es ihr gar nicht zu, der Autorin Donna Leon, die sonst (bis auf die meist atemberaubenden Showdowns ihrer Romane) eher mit den leisen Tönen operiert und die zwischenmenschlichen, psychologischen Aspekte bevorzugt, einen Einstieg mit solcher Brutalität wie auf den ersten Seiten des vorliegendenen Buches.
Ausführlich und en detail wird dokumentiert, wie die Amerikanerin Brett Lynch erst brutal zusammengeschlagen wird und dann unter den Folgen dieser Misshandlungen zu leiden hat.
Brunetti-Fans werden sich erinnern dieser Protagonistin (und ihrer Freundin Flavia) bereits im allerersten Roman der Serie begegnet zu sein. Damals allerdings durften die Archäologin und die Sopranistin ihre Liebe noch nicht öffentlich zeigen, was sich mittlerweile geändert hat.
Ebenso wie das (im ersten Band eher verhaltene und leicht aggressive) Verhältnis, das die Operndiva dem Commissario gegenüber seinerzeit an den Tag legte. Nun, da ihre Liebste in Gefahr zu sein scheint, setzt sie alles dran, sich Brunetti zum Verbündeten zu machen.
Auch andere, mehr oder minder liebgewordene Figuren trifft der Leser wieder:
Venezianische Originale wie die Zeitungsfrau, als Seele des Wohnviertels eine lebende Auskunftei oder Lele, Antiquitätenhändler, Maler und wandelndes Who-is-who.
Vice-Questore Patta, das personifizierte Vorurteil, nach wie vor xenophobisch, frauenverachtend, rückständig, neidisch auf all jene, die es weiter gebracht haben als er selbst und ein Speichellecker ohne gleichen.
Vianello, der diesmal seine Fähigkeiten beim nicht ganz zulässigen Öffnen verschlossener Türen unter Beweis stellen darf.
Und die unvergleichliche Elettra, die erstmalig zeigen kann, wie an ihr eine (ausgesprochen attraktive und fähige) venezianische Miss Marple verloren gegangen ist. Ihre mehr als selbstständige Arbeit und die verblüffenden Methoden und Ergebnisse ihrer Recherchen nehmen mehr und mehr Raum ein.
Mag der unkundige Leser manches für dem Bereich der Dichtung mehr als der Wahrheit zugehörig erachten, so irrt er. Das System der "bustarelle" mittels derer sich etwa eine aufmerksamere Behandlung seitens des Pflegepersonals im Krankenhaus erkaufen lässt - keine Erfindung. Das feine Netz über alle Schichten hinweg, mittels dessen Informationen und (zu gegebener Zeit wieder einzulösende) Gefälligkeiten ausgetauscht werden - auch das pure Realität.
Und während eine spannende und verwickelte Handlung alles beleuchtet, was an Straftaten im Zusammenhang mit Kunst begangen werden kann - von Diebstahl und Schmuggel bis hin zur Fälschung - tut Autorin Leon das, was sie am besten kann: Sie bricht jede einzelne Figur auf eine ausgesprochen menschliche Ebene herunter, verdeutlicht ihre Motive, legt ihre vielschichtigen Charaktere bloß und macht dabei selbst das Unvorstellbare irgendwie nachvollziehbar.
Das blutige Finale ist auch diesmal wieder verbunden mit einer Handlungsweise seitens des Kommissars, die nicht wirklich als politisch korrekt eingestuft werden kann. Wie schon in anderen Bänden zuvor huldigt er der Devise, dass zuweilen durchaus das eine oder andere Detail verschwiegen werden darf, wenn ein öffentlich machen niemandem nützen und nichts an einem Tatbestand ändern, sondern im Gegenteil nur Schatten auf das Leben jeder werfen würde, die sowieso bereits gelitten und gebüßt haben.
Wieder mal ein "echter Brunetti" also, wie ihn die Fans lieben: Spannend, vielschichtig und mit mehr als doppeltem Boden.

Miss Sophie

 

Gastrezension(en):


Name: Violetta
Email:
Datum: 2.10.2005 (13:12)

Selten habe ich mich durch ein Werk von Donna Leon so hindurchgequält wie diesmal. Los geht es mit einem Paukenschlag, dem in seiner Brutalität viel zu detailfreudig geschilderten Überfall auf Brett Lynch. Man erwartet nun eigentlich eine Geschichte mit viel Action und Spannung, doch die Story plätschert so müde dahin, wie es die Ermittlungsfortschritte tun. Selbst der Mord an dem Museumsdirektor kommt nicht wirklich überraschend. Bei der Stange gehalten hat mich im Grunde allein das interessante Beziehungsgeflecht um Brett und Flavia, die Frage, wie es mit ihrer Beziehung weitergeht, wobei die eigentliche Lösung des Falles immer mehr zur Nebensache wurde. Zum Finale hin wird es dann wenigstens noch mal einigermaßen spannend, aber das kann das Buch leider auch nicht mehr retten. Sorry, Donna Leon, aber das war bisher eines der deutlich schwächsten Werke! Violetta