Das Buch direkt bei Amazon bestellen Philip Kerr Cornelia Holfelder von der Tann
Der zweite Engel

Original: The Second Angel
Deutsch von ,Cornelia Holfelder von der Tann
Wunderlich gebunden
ISBN 3-8052-0649-6

In der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts kämpft die Menschheit ums Überleben: Ein tödlicher Virus hat achtzig Prozent der Weltbevölkerung befallen. Die Krankheit ist heilbar, allerdings nur durch einen kompletten Blutaustausch. Blut bedeutet Leben; es ist wertvoller als Gold. Der Preis für einen Liter gesundes Menschenblut liegt bei 1,5 Millionen Dollar.
Ein erstklassiges Spekulationsobjekt für Geschäftemacher, die reich werden und zugleich gesund bleiben. Wer nicht zu den privilegierten Kreisen gehört, hat kaum eine Überlebenschance.
Überall auf der Welt sind Blutbanken durch ausgeklügelte Sicherheitsvorkehrungen geschützt. Die größte und wichtigste dieser Banken befindet sich auf dem Mond, ausgerüstet mit einem unüberwindlichen Sicherheitssystem, das von einem allwissenden Computer namens "Descartes" gesteuert wird.
Dieses komplexe System ist die Erfindung eines einzelnen Mannes: Dana Dallas, Chefkonstrukteur des mächtigen Terotech-Konzerns.
Das tödliche Virus hat ihn zu einem reichen Mann gemacht, er ist auf der Gewinnerseite der neuen Weltordnung. Doch dann erkrankt seine Tochter und Dallas braucht plötzlich selbst große Mengen des begehrten Stoffes - mehr, als er jemals bezahlen könnte.

k Rezension:
Hochkomplex wie "Descartes", der Sicherheitscomputer der First National Blutbank auf dem Mond ist diese Geschichte aufgebaut - ein Science-Thriller in der Tradition des frühen Michael Crichton.
Und wie in "Game over" reichert Philip Kerr seine nach den Gesetzen der Hollywood-Blockbuster-Dramaturgie gebaute Story wieder mit einer philosophischen Unterströmung an, einem Essay über Quantenphysik, Quantencomputer und künstliche Intelligenz.
Doch zunächst beginnt alles in einem komplexen Entwurf einer Welt am Abgrund - düstere "Blade Runner"-Szenerien einer Menschheit, die sich in die Gesunden und die Infizierten trennt, die Vermögenden, die die horrenden Summen für einen Blutaustausch aufbringen können und den Rest, der unter dem tödliche P2-Virus dahinvegetiert.
Ein Entwurf, der bis in die letzte Fußnote hinein (ja, Fußnoten in einem Thriller!) sowohl von Kerrs Imaginationskraft als auch von seiner Belesenheit zeugt. Ein erzählerisches Multitalent, das souverän mit den Schauwerten der Doomsday-Fiction umgeht, ohne sich von ihnen gefangennehmen zu lassen.
Stört es da, wenn die Charaktere hinter dem fulminanten Weltentwurf vielleicht ein wenig zu sehr zurücktreten? Klischeefiguren, könnte man sagen, aber vielleicht auch: Archetypen.
Dana Dallas, der Techniker, der sich plötzlich mit der Tragik des Menschseins in einer unmenschlichen Welt konfrontiert sieht, die er selbst mit aufgebaut hat.
Rimmer, der eiskalte Terotech-Killer, der sich als Werkzeug des System keine Reflexion erlauben darf.
Absolut logisch, dass Dana Dallas ganz einfache und kalte Rache schwört, als er herausfindet, dass der Konzern den Mord an seiner Frau und seiner Tochter zu verantworten hat - ganz einfach und doch ebenso komplex wie der gigantische Riffifi-Raub von Millionen von Litern Blut aus der perfekt gesicherten Blutbank auf dem Mond.
In diesen Passagen hat der Roman absolute pageturner-Qualitäten, makellose Spannung mit kleinen philosophischen Widerhaken, in denen der Thriller sich selbst zu reflektieren scheint. (ja, Philosophie in einem Thriller!)
An diesem Punkt hat Kerr uns Leser schon so fest gepackt, dass ein Entkommen nicht mehr möglich ist - genau wie Dana Dallas und seine Komplicen sich schon längst in einem Spiel befinden, dessen furiosen Schlusspunkt sie ebensowenig erahnen wie der Leser.

Reinhard Jahn