Jan Costin Wagner
Nachtfahrt
Eichborn gebunden
Mark Cramer ist schlichtweg anders.
Ich werde schwimmen Richtung Horizont, so weit meine Kraft reicht, spaßeshalber. Die Wellen werden mich schlucken auf halbem Weg. Nichts wird sein. Schwarz wird sein.
Rezension:
Reinhard Jahn
ISBN 3-8218-0700-8
Denn Mark Cramer ist jenseits von Gefühl und Moral. Und Mark Cramer geht kalten Blutes immer aufs Ganze. Im Spielcasino bleibt er ungerührt, wenn der Rest des Saales ob seiner Einsätze atemlos auf den Lauf der Kugel starrt - und man ahnt, daß es nichts Gutes verheißt, als er im französischen Ferienparadies Cap Ferret über die Schwelle der Villa des in die Jahre gekommenen Schauspielerstars Fraikin tritt, dessen Biographie er schreiben soll ...
Mit seismographischer Genauigkeit registriert Cramer vom ersten Augenblick an die Schwächen und Eitelkeiten Fraikins, lotet mit punktgenauem psychologischen Spürsinn die Brüche und Verwerfungen von dessen Charakter und Leben aus. Und er protokolliert mit kaltem Zynismus den Niedergang des Schauspielers und beschleunigt ihn schließlich mit der Emotionslosigkeit eines Experimentators.
Ein alter Mann und seine schöne Frau. Für Mark Cramer nichts anderes als Menschenfiguren, mit denen er spielt. Fraikin, der eitle Schauspieler, der sich darin gefällt, sich und seinen ebenso eitlen Schauspieler-Freunden seine alten Filmerfolge im Privatkino vorzuführen. Sarah, seine betörend schöne und natürlich wesentlich jüngere Frau - ein Wesen jenseits jeder einfachen Begehrlichkeit - aber der gibt sich Mark Cramer ohnehin nicht hin.
Drei Menschen in einer noblen französischen Villa, drei Menschen, deren Lebensbahnen mit eben logischer wie tödlicher Konsequenz kollidieren müssen - so, wie sie es schon in den Romanen von James M. Cain, Charles Williams oder Cornell Woolrich taten.
Aber Jan Costins Wagners Geschichte spielt nicht vor fünfzig Jahren, sie spielt heute, und da ist der Existenzialismus des american noir dem Zynismus der everything-goes-Generation gewichen.
Wenn Marc Cramer den eitlen Fraikin und seine schöne Frau manipuliert, steht dahinter nicht der emotionale Impuls des verzweifelten Glückssuchers, sondern die Abwesenheit jeder Empathie. Es ist nicht nicht einmal das Böse, das sich in Marc Cramers Plan, Fraikin schließlich umzubringen, Bahn bricht, sondern die kalte Leere einer Charaktermaske.
Das alles schält Jan Costin Wagner in einer berechnenden Sprache heraus, so glatt und makellos, wie es sein Stoff erfordert: german noir at it's best.