Das Buch direkt bei Amazon bestellen Steffen Kopetzky
Grand Tour oder die Nacht der großen Complication

Eichborn gebunden
ISBN 3-821-80897-7

Frühjahr 1999.
Eben hat sich der junge Leo Pardell um seine kargen Ersparnisse betrügen lassen. Den vollmundig avisierten Aufenthalt in Buenos Aires spielt er seiner Mutter und seiner Angebeteten jetzt einfach telephonisch vor, und verdingt sich - bar jeder Schlafstätte oder Mittel - als Aushilfs-Schlafwagenschaffner.
Während seiner nächtlichen Reisen auf den Schienennetzen Europas trifft er die merkwürdigsten Gestalten: französische Schmuggler, bulgarische Verführungsspezialisten, korrupte Kontrolleure, kluge Buchhändlerinnen, Brüsseler Bürokraten, melancholische englische Detektive, mörderische Priester im diplomatischen Dienst und reizende, russische Beischlafdiebinnen.
Und dann kreuzt den Weg des ahnungslosen Pardell auch noch die mythische Ziffer a Grand Complication 1924, die erste mechanische Uhr mit Jahrtausendanzeige. Genau die Uhr, der nicht nur der fanatische Uhrensammler Friedrich von Reichhausen gerade wütend und verzweifelt nachjagt...

Rezension:
Mit einer poetischen Bahnhofsbeschreibung beginnt es.
Verzeihung, Spannung haben wir in der Neueren Deutschen Literatur ja nicht erwartet, nur erhofft. Also weiter. 1999, die Unterkapitel sind wie im Fahrplan mit Datum und Uhrzeit gekennzeichnet und enden kurz nach Mitternacht im Jahr 2000. Der Vor- und Nachsatz ist mit den Zugstrecken bedruckt, die im Roman befahren werden. Die Kapitelanfänge ziert ein Bild, das dann im Kapitel erwähnt wird. Spielereien, die einladen sollen, das dicke Buch Seite für Seite weiterzulesen.
Der Autor und nun der Leser wissen ja, was mit den Kernkraftwerken, den Computern etc. passierte, die den Millenniumswechsel anzeigen mussten, die Figuren im Roman müssen es im wahrsten Sinn des Wortes er-fahren.
Ein junger Schaffner, Pardell genannt, wird "Springer" bei einer Schlafwagengesellschaft, täuscht seiner Mutter und seiner ehemaligen Freundin vor in Buenos Aires zu sein. Dabei bedient er sich der Romane einer argentinischen Autorin, die nur leider, wie sich am Schluss herausstellte, das Buenos Aires von vor einem halben Jahrhundert beschrieben hat.
Ein geldgieriger Baron ist auf der Jagd nach einer einzigartigen mechanischen Uhr, auf der er den magischen Jahrtausendwechsel sehen will und endet als Penner.
Zwei Charaktere von über 40, deren Vorgeschichte ausführlichst erzählt wird. Im Fall der beiden Hauptfiguren, Pardell und dem Baron ist das sehr amüsant und spannend zu lesen, bei den restlichen Figuren fragt man sich, warum muss der Leser das wissen, um was geht es auf über 700 Seiten?
Viele der angelegten Geschichten enden als stillgelegte Nebenstrecken. Einige wenige, sind fast in sich geschlossene Erzählungen, wie z.B.: Die Schilderung des magischen "Gran´Tour", einem labyrinthischen Restaurant in Paris, in dem es Speisekarten in unzähligen Formaten gab, sogar in kyrillischen Buchstaben und doch kann man nur das Tagesgericht bestellen. Zitat S. 159: "Und was wäre das heute?" "Schwer zu sagen. Das wechselt ständig. Bestellen Sie einfach, ich sehe dann, was ich für Sie tun kann, Monsieur."
Auch die Sonnenfinsternis, am 13.8.99, in Baden-Baden ist sehr unterhaltsam, über viele Seiten hinweg, doch was hat das mit der Handlung zu tun?
Das ganze Buch erinnert an einen Fortsetzungsroman, bei dem man an beliebiger Stelle einsteigen kann, aber oft genug aussteigen möchte.
Schade!

K. Ara