Das Buch direkt bei Amazon bestellen Minette Walters
Der Nachbar

Original: Acid Row
Goldmann gebunden
ISBN 3-442-30969-7

Bassindale Estate ist ein Wohnviertel nahe Southampton, in dem Alkoholismus, Drogenhandel und Schlägereien zur Tagesordnung gehören. Dennoch gibt es einen festen Zusammenhalt in dieser Gemeinschaft von Außenseitern.
Als eines Tages das Gerücht durchsickert, ein entlassener Sexualstraftäter sei im Viertel einquartiert worden, ist die Empörung groß. Und tatsächlich scheinen sich die bösesten Vermutungen zu bestätigen, denn wenig später verschwindet die kleine Amy spurlos.
Nun beschließen die Menschen zu handeln - und ein friedlicher Protestmarsch gerät zu einer Straßenschlacht, der Bassindale in einen wahren Hexenkessel verwandelt.
Die ahnungslose junge Ärztin Dr. Sophie Morrison wird unversehens hineingezogen in einen mörderischen Kosmos, in dem ganz eigene Gesetze herrschen und aus dem es für sie kein Entrinnen mehr zu geben scheint ...

Rezension:
Erschrecken, verschreckend - aber zutiefst menschlich, das ist dieser fesselnde Roman der Erfolgsautorin, bei dem nicht nur die Gefühle in einem sozialer Brennpunkt im wahrsten Sinne des Wortes hochkochen.
Eine Spirale der Gewalt, ausgelöst durch eine Reihe von Missverständnissen, dummen Zufällen, der kindischen Reaktion einer vom Leben enttäuschten missgelaunten Sozialarbeiterin und irregeleiteter Mutterliebe zweier Frauen, deren einziges Anliegen es ist, die eigene Brut zu beschützen, kulminiert in einer Mordbrennerei in einem sozialen Brennpunkt.
Menschen kommen zu Tode - ein Unschuldiger und ein paar "Böse" - und der Leser darf ganz allein mit sich selbst ausmachen, ob er diesen ein solches Ende gewünscht hat.
Doch der Roman besteht nicht nur aus diesem einzigen düsteren Szenario, erzählt nicht ausschließlich von Menschen, die ganz unten angekommen sind.
Im Gegenteil - und das ist eine Kunst, die Autorin Walters perfekt beherrscht - werden doch immer wieder Miniaturen, viele kleine Geschichten am Rande, erzählt, die dem Prinzip Hoffnung neue Nahrung geben.
Etwa die Tatsache, dass sich Junge und Alte, Außenseiter und zentrale Figuren in diesem ganz eigenen sozialen Gefüge, durch die schrecklichen Ereignisse einander annähern, das Misstrauen, das bis dato ihr Leben bestimmt hat, ablegen und sich mit jenen solidarisieren, von denen sie glaubten, sie seien asozial und schlecht.
Jeder Mensch neigt zum Kategorisieren - Walters führt es uns wieder einmal besonders deutlich vor Augen. Doch sobald ihre Protagonisten die Augen für das Wesentliche öffnen, feststellen, dass das, was ihnen bisher Angst machte, wenn sie es genau ansehen, ganz andere Züge trägt, dass auch auf der anderen Seite der Strasse MENSCHEN leben, dann tritt ein Wandel ein, der auch den Leser nicht kalt lässt.
Inseln der Menschlichkeit inmitten einer großen, fehlgeleiteten Lawine - und am Schluss die Hoffnung, dass die Lektion, die unter Schmerzen gelernt wurde, nicht umsonst sein möge, auf dem Weg zu einem besseren, fried- und freundevollen Miteinander - das ist das, was bleibt, wenn der Leser atemlos die letzte Seite eines Romans verschlungen hat, der ihn berührt und gleichermaßen in Atem hält.

Miss Sophie