Das Buch direkt bei Amazon bestellen Bernhard Jaumann
Saltimbocca

Aufbau TB
ISBN 3-7466-1509-7

Vier Sinne und vier Metropolen hat ein mäßig bekannter Krimiautor schon detektivisch durchmessen. Für den abschließenden Band seiner Reihe ist er in Rom den Abgründen des Geschmacks auf der Spur.
Doch die Verkaufszahlen der bisherigen Romane sind eher bescheiden, die Recherchekosten in der ewigen Stadt dagegen beträchtlich. Der Autor kommt auf eine - wie er meint - geniale Idee: Er will sich in einer Trattoria einnisten, sich für einige Tage zu deftiger römischer Küche einladen lassen und verspricht dafür, diese Trattoria in seinem neuen Krimi werbewirksam in den Mittelpunkt zu stellen.
Trattoriabesitzer Pallotta lässt sich auf das Geschäft ein, und der Autor schwelgt in Meeresfrüchtesalaten, Rigatoni con la paiata, Ochsenschwanzragout und Saltimbocca alla romana.
Zwischen den Mahlzeiten schreibt er seinen Krimi über den römischen Privatdetektiv Brunetti, einen sympathischen Verlierer, der sich mit Ehebruchsfällen über Wasser hält. Ein von ihm beschatteter Restaurantkritiker wird fachgerecht zerstückelt aufgefunden. Der Tat verdächtig ist ausgerechnet der Trattoriabesitzer, in dessen Tochter Brunetti genauso leidenschaftlich wie unglücklich verliebt ist.
Zwischen mehr oder weniger appetitlichen Leichen und geheimnisvollen Renaissancegemälden, durch unterirdische Ausgrabungsstätten und Obdachlosenspeisungen im Vatikan läuft Brunetti der Lösung des Falls und der Liebe seines Lebens nach.
Doch je länger der Autor Brunetti durch Rom stolpern lässt, desto Bedrohlicheres geschieht in der Trattoria Pallotta. Ein Giftanschlag verdirbt den Gästen gehörig den Appetit. Noch schwerer ist für den Schriftsteller zu verdauen, dass sich Realität und Fiktion in unheimlicher Weise vermengen. Von ihm erfundene Figuren scheinen zum Leben zu erstehen, die Handlung seines Brunetti-Romans macht sich selbständig, und als Wirt Pallotta ein maßloses Schlemmermenü auftischt, ist klar, dass manch einem die feinen Bissen im Hals stecken bleiben werden.
"Saltimbocca" ist eine Liebeserklärung an Rom und die römische Küche, ein spannender Krimi zum Genießen und Verschlingen und zugleich eine intelligente Reflexion über Rezepte des Krimischreibens.

Für dieses Buch wurde Bernhard Jaumann von der Autorengruppe deutschsprachige Kriminalliteratur DAS SYNDIKAT (AIEP) der FRIEDRICH-GLAUSER-PREIS - KRIMIPREIS DER AUTOREN 2003 in der Sparte ROMAN zuerkannt.

Rezension:
Zwei Ebenen, zwei Geschichten ... oder doch eine - oder noch mehr?
Denn die gar nicht versteckten Hinweise auf frühere (eigene) Werke des Autors, speziell "Sehschlachten" und "Duftfallen", verbunden etwa mit einer (tatsächlich erfolgten) Kritik Robert Hültners in der Münchner AZ (den Jaumann "zum Dank dafür" namentlich erwähnt) fügen gar noch eine weitere Dimension ein.
Doch damit nicht genug, denn noch viel schwieriger ist die Einordnung des Romans in eine der bekannten und beliebten Kategorien. Das einzige, was wirklich fest steht, ist, dass es KEIN Frauenkrimi ist ... obwohl... streicht man die Bedingung, dass entweder Verfasser oder Protagonist eine Frau sein müssen und ersetzt sie durch "eine besonders für das weibliche Geschlecht vergnügliche Lektüre", dann könnte man eventuell ... Was aber wiederum ungerecht gegenüber all jenen Männern wäre, die sich vor Begeisterung kaum von den 266 Seiten von "Saltimbocca" lösen können.
Kurzum: Was hier auf kongeniale Weise von dem Kosmopolit Jaumann (lebte schon in Italien, Australien und Mexiko) zu Papier gebracht wird, entzieht sich jeder Klassifizierung.
Kulinaria spielen eine Rolle - doch ein Gourmetkrimi ist es nicht, selbst wenn es dem geneigten Leser bereits nach wenigen Zeilen in der Nase kribbelt und das Wasser im Mund zusammenläuft.
Auch das Etikett "Kunstkrimi" will nicht wirklich passen - obwohl der frühere Geschichtslehrer Jaumann auch dieses Thema elegant unterbringt.
Action bekommt der Leser ebenfalls - etwa in einer ausgesprochen gruseligen unterirdischen Verfolgungsjagd zwischen antiken Trümmern - dennoch ist der Roman weit entfernt davon, als typischer Vertreter eines "actiongeladenen" Reissers in die Geschichte des Kriminalromans einzugehen.
Das Ambiente des wahren und echten Stiefelstaates kommt zum tragen - aber den Roman deshalb als "Italienkrimi" zu bezeichnen, wäre sicherlich auch nicht korrekt, obwohl es Lokalkolorit zuhauf gibt. So kenntnisreich sind die geschilderten Momentaufnahmen aus dem "echten" Leben, dass klar ist: hier schreibt jemand, der sich auskennt. Etwa wenn es um die, durchaus nicht unübliche, Anlieferung von Essen für Strafgefangene durch Freunde oder Angehörige geht. Und selbst die Aufzeichnung von banalen Unterhaltungen sorgt dafür, dass eine Stimmung heraufbeschworen wird, die den Leser glauben macht, er wäre mittendrin in der Handlung, so typisch und bezeichnend ist das Verhalten der beteiligten Personen.
Fehlt noch was? Ach ja, da ist natürlich noch ein ganz wesentlicher Punkt, den es zu erwähnen gilt: Dem geborenen Augsburger ist es gelungen, mehr Humor und Sprachwitz in (oder auch zwischen) zwei Zeilen zu packen, als es andere in einem ganzen Roman schaffen - das zeigt sich nicht nur an der Tatsache, dass sein Schnüffler "Bruno Brunetti" heißt (und der Ich-Erzähler erst von seiner Frau darauf aufmerksam gemacht werden muss, dass dieser Name literarisch bereits besetzt ist ...) .
Schnell wird also klar, dass "Saltimbocca" nichts (und alles) mit dem gemein hat, was einen "typischen" Kriminalroman ausmacht und dass es nur eine Möglichkeit gibt, herauszufinden, welchen Aspekt dieses wunderbaren Buches man selbst am meisten schätzen wird: Kaufen und verschlingen!
Nur ein Tipp noch dazu: Lesen Sie diesen Krimi NICHT vor dem einkaufen, sie werden sonst wie von fremder Hand bestimmt, Ihr örtliches Fachgeschäft für Oliven, Saltimbocca alla Romana, Kalbsschnitzel, Parmaschinken und Salbeiblätter komplett leer kaufen oder direkt ein Ticket nach Rom lösen.
One way.
Und kaum angekommen, werden Sie sich - ohne über "Los" zu gehen - ins Viertel der Milvischen Brücke begeben, die Trattoria Pallotta suchen und essen, essen, essen ...
Um den Bogen zum Roman zurück zu schlagen - das hier vorliegende Meisterwerk verdient nur ein Prädikat, nämlich köstlich! Und das in jeder Hinsicht!

Miss Sophie