Das Buch direkt bei Amazon bestellen Andrea Camilleri Christiane von Bechtolsheim
Die Rache des schönen Geschlechts

Original: La Paura di Montalbano
Commissario Montalbano lernt das Fürchten
aus dem Italienischen von Christiane von Bechtolsheim
editionLübbe gebunden
ISBN 3-7857-1540-4

Commissario Montalbano ist aus Sizilien ja einiges gewohnt. Doch als er bei einem kurzen Aufenthalt in Rom in einer Straße einen einsam im Regen liegenden Hut aufhebt und daraufhin von dessen plötzlich auftauchendem Besitzer zusammengeschlagen wird, ist er irritiert. Sind die Sitten in der Hauptstadt derart verroht? Dabei ahnt er nur noch nicht, was man mit einem Hut so alles machen kann.
Salvo Montalbano hat es nicht leicht in Andrea Camilleris neuestem Buch, das ihn einmal mehr zum Protagonisten macht. Neben dem Angriff des unberechenbaren Hutbesitzers muss er heftige Fieberschübe über sich ergehen lassen und wird vom Gebirgskoller erfasst.
Außerdem wird sein Weltbild erschüttert, als er hilflos mit ansehen muss, wie Catarella beinahe selbständig einen kniffligen Fall löst.
Glücklicherweise gibt es immer noch ein paar Dinge, auf die er sich verlassen kann und die ihn und seinen Humor beständig am Leben erhalten: das Meer vor seiner Haustür in Marinella, die kulinarischen Köstlichkeiten in der Trattoria San Calogero, die zuverlässige Dämlichkeit seiner Vorgesetzten, Verbrecher, die sich überführen lasen, und (!) die Frauen.
Was wäre die Welt ohne die Frauen, das schöne Geschlecht, dem sowohl Montalbano als auch Camilleri, als auch der Italiener im Allgemeinen und überhaupt alle Männer in besonderer Weise verbunden sind: intelligente Frauen, schöne Frauen, junge Frauen, alte Frauen – aber vor allem gefährliche Frauen, die auf Rache sinnen.
Und Frauen rächen sich nicht irgendwie, sondern ausschließlich auf raffinierte Weise, giftig, mit spitzer Zunge und anderen – garantiert tödlichen – Waffen.
Freuen Sie sich auf gleich sechs neue Montalbanos, drei kleine und drei große, das heißt Erzählungen und Kurzromane, in willkommener Abwechslung präsentiert.

Rezension:
Manche nennen ihn Italiens erfolgreichsten Export-Artikel in Sachen Krimis, seine Bücher wurden bereits mehrfach verfilmt und wenn er wollte, könnte dieser Mann zwei- oder am liebsten dreimal im Jahr einen Band rund um seinen eigenwilligen Commissario Montalbano veröffentlichen, die Fans würden ihn ihm aus den Händen reißen.
Doch Andrea Camilleri will nicht. Er mag den Protagonisten, den er - im Rahmen einer zweiten oder gar dritten Karriere - in bereits fortgeschrittenem Alter geschaffen hat, aber zuweilen möchte, ja muss er Abstand halten und will sich nicht ausschließlich mit dem unkonventionellen Polizisten befassen.
Weil aber für seine Leser ein Jahr ohne Montalbano ein verlorenes Jahr ist, hat man diesen Kompromiss gefunden. Kein Roman sondern sechs Kurzgeschichten unterschiedlicher Länge (jeweils im Wechsel), einige bereits früher erschienen, andere bisher unveröffentlicht, sorgen dafür, dass der Commissario auch im Herbst 2003 Einzug in die Buchregale seiner deutschen Fans halten kann.
Der ganz große gemeinsame Nenner aller in der Anthologie enthaltenen Beiträge ist die Tatsache, dass Frauen jeden Alters und Standes eine Rolle spielen.
Wie schon in früheren Kurzgeschichtensammlungen steht das "kriminelle Element" nicht so sehr im Vordergrund, sondern es handelt sich eher um merkwürdige Alltagsbegebenheiten, Menschliches und allzu Menschliches, das Montalbano entweder direkt oder indirekt betrifft.
Und es sind die Geschichten hinter den Geschichten, die Camilleri so meisterhaft herauszuarbeiten weiß, so dass der Leser am Ende genauso bewegt, berührt und zuweilen auch mit Mitleid oder gar Bitterkeit ob der Ungerechtigkeit des Schicksals erfüllt ist, wie der Held der Erzählungen.
Etwa wenn er eine Täterin, die im Grunde selbst zuerst Opfer war, bevor sie sich für die erlittenen Demütigungen und das Unrecht blutig rächte, über- und der Gerechtigkeit zuführt - obwohl jeder Leser im Grunde auf der Seite der bedauernswerten Frau steht.
Oder da wo es um ein lang in der Vergangenheit zurückliegendes Verbrechen geht, bei dem eine Frau von ihrer ehemals besten Freundin, die sie jedoch als erste hintergangen hatte, per Falschaussage für eine nie ausgeführte Tat ans Messer geliefert wird. Und alle Beteiligten sind Verlierer in dieser schlechten Schmierenkomödie, über die man fast lachen möchte, wären die Folgen nicht so tragisch gewesen …
Doch es gibt natürlich auch durch und durch komische Passagen; etwa wenn Catarella - ja, genau, jene Mensch gewordene Karikatur eines vertrottelten Dorfpolizisten - mit seinem Chef ein Geheimnis teilt und um ein Haar selbst den Fall löst.
Oder - für Insider - jene Stellen, an denen der Commissario einen Roman von Carlo Lucarelli liest, jenem "Shootingstar der italienischen Literaturszene", der sich mit Kriminalromanen ebenso einen Namen gemacht hat wie als TV-Moderator und seinerseits in den eigenen Büchern immer wieder gern auf seinen Freund Camilleri verweist.
Auch die Liebe (neben den kulinarischen Genüssen jene Leidenschaft, der Montalbano am liebsten frönt) kommt nicht zu kurz: Ein paar Mal gerät der sympathische Querkopf in Versuchung - entscheidet sich jedoch letztendlich immer wieder für seine Dauer-Verlobte Livia.
Vielversprechend auch die Tatsache, dass der Einzelgänger Montalbano im krebskranken Maresciallo Verruso so etwas wie einen Freund findet, einen würdigen Partner, dem man gern in künftigen Büchern noch einmal begegnen würde.
Alles in allem also zwar kein weiterer "kompletter" Band aus einer herausragenden Serie, aber in jedem Fall ein gelungener Streifzug durch die Welt des Commissario Montalbano.

Zack