Astrid Paprotta
Die ungeschminkte Wahrheit
(3. Band)
Das Opfer sah sie aus starren, blicklosen Augen an. Aber Kommissarin Ina Henkel kannte die Augen Ermordeter. Beunruhigender war für sie die Tatsache, daß in dem Gesicht des Obdachlosen alles glänzte: Tusche, Lidschatten, Lippenstift und Rouge, alles zu dick aufgetragen, als sei es für die Ewigkeit gedacht. Was hatte das zu bedeuten? Und weshalb trug der Tote einen dreimal gefalteten Zettel bei sich, auf dem ein einziges Wort geschrieben stand?
Dieser Roman erhielt den Deutschen Krimi-Preis 2005 (1. Platz Kategorie national). Rezension:
Kathrin Fischer
Piper Original TB
ISBN 3-492-27077-8
Eine Spur führt zu der beliebten TV-Moderatorin Denise Berninger. Doch bevor Ina Henkel mit ihren Ermittlungen vorankommen kann, geschehen weitere Morde und alle Opfer sind grell geschminkt
Die meisten Kriminalromane, die in Deutschland verkauft werden, stammen aus dem englischsprachigen Bereich. Die Krimis, die als entweder very british oder very rogh amerikanisch verkauft werden, erfreuen sich hierzulande großer Beliebtheit. Dabei gibt es in Deutschland mittlerweile eine immer größer werdende Anzahl von Autoren, die Kriminalromane schreiben. Eine von ihnen ist Astrid Paprotta, Frankfurter Journalistin, deren psychologische Kriminalromane seit dem Erscheinen des ersten 1999 hoch gelobt werden.
Soeben ist der dritte Roman erschienen: Die ungeschminkte Wahrheit.
Pit Rehbein stirbt als erster. Erschossen liegt er im Frankfurter Ostpark. Ein Obdachloser, dessen Gesicht grell geschminkt ist. Kurz danach wird eine namenlose Frau tot aufgefunden. Auch ihr Gesicht ist mit Theaterschminke bunt bemalt. Weitere Tote folgen. Die Frankfurter Polizei ist ratlos. Offenbar hat sie es mit einem Serienmörder zu tun, der Obdachlose schminkt und umbringt. Die 30-jährige Kommissarin Ina Henkel fragt sich ebenso wie ihre Kollegen: Warum bringt jemand Obdachlose um? Warum schminkt er sie? Was will der Täter damit ausdrücken? Welche kranke Phantasie wird da wieder und wieder reinszeniert?
Wer die beiden bisherigen Romane von Astrid Paprotta kennt, stellt sich als Leser diese Fragen ebenso. Denn Astrid Paprotta ist eine Meisterin der psychologischen Auslotung, die mit verstörender Intensität in die seelischen Abgründe ihrer getriebenen Hauptfiguren kriecht. Doch wenn auch die Pointe ihres neuen Romans an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden darf, so viel sei gesagt: Dieses Mal sind die Figuren weniger von innen getrieben als von außen.
Im Mittelpunkt dieser Geschichte stehen die Obdachlosen. Denn weil offenbar ein Serienmörder unter ihnen umgeht, konzentrieren sich die Ermittlungen auf das entsprechende Milieu.
Unprätentiös und ohne falsche Sozialromantik nähert sich Astrid Paprotta diesen Menschen an, die für die Mittelschichtsleser, die zu einem Großteil die Leserschaft von Kriminalromanen bilden, eher fremd sein dürften.
Astrid Paprotta gehört zu einer neuen Generation deutscher Kriminalautoren, denen vor allem Realismus wichtig ist. Kriminalromane schreibt sie nicht aus Spaß am Rätselcharakter oder Actionpotentials des Genres, sondern aus dem Bedürfnis, gesellschaftliche Strukturen darzustellen.
Das bedeutet nicht, dass Astrid Paprotta ihre Krimis als politische Statements anlegt, doch natürlich gerät der exakte Blick auf die Opfer dieser Gesellschaft zu einem gesellschaftskritischen Kommentar.
Nichts ist unpolitisch bei Astrid Paprotta. Auch nicht ihre Hauptfigur Ina Henkel. Die 30-jährige modebegeisterte Kommissarin lebt in diesem dritten Roman mittlerweile wieder alleine, nachdem sie im vorhergehenden Buch Sterntaucher einen Menschen erschossen hat und das nicht verarbeiten kann.
Ina Henkel wird mit ihrem Job nur schwer fertig. Das liegt daran, dass die Arbeit bei der Mordkommission sehr viel grauenvoller ist als das im normalen Tatort oder im gängigen Kriminalroman gezeigt wird. Auch hier zeigt sich Astrid Paprotta vor allem als realistische Autorin.
Den Schein vom Sein zu trennen, das ist immer wieder ein Thema bei Astrid Paprotta. Der Titel ihres neuen Romans Die ungeschminkte Wahrheit ist daher auch als ästhetisches Programm zu betrachten.
Zum Glück muss man dabei bei ihr nie Angst haben, moralinsaure Kost serviert zu bekommen, dazu macht sich die Frankfurter Autorin viel zu sehr ihre Figuren zu eigen, dazu kriecht sie nach wie vor viel zu sehr in deren Seelen.
Zwar gibt es Täter und Opfer doch die sind nicht identisch mit Gut und böse. Denn auch die neue Generation realistischer deutscher Kriminalautoren weiß: Einfach ist auch die ungeschminkte Wahrheit nicht.