Das Buch direkt bei Amazon bestellen Arne Dahl Wolfgang Butt
Tiefer Schmerz

Original: Europa Blues
(4. Band)
übersetzt von Wolfgang Butt
Piper gebunden
ISBN 3-492-04714-9

Eine lange Nadel steckt in seinem Kopf: Es ist ein kühler, berechnender Mord, der an dem renommierten schwedischen Hirnforscher und Nobelpreiskandidaten verübt wird. Warum aber muß der fast Neunzigjährige auf so qualvolle Weise sterben? Und in welchem Zusammenhang steht sein Tod mit dem einer fürchterlich zugerichteten Leiche, die Paul Hjelm und sein Team im Stockholmer Freizeitpark Skansen entdecken?
Es gibt nur eine Spur, die die Ermittler verfolgen können: Epivu. Dieses merkwürdige Wort hat der Tote von Skansen in die Erde gekratzt – und auch das andere Opfer schien diese Buchstaben gekannt zu haben.
Eine komplexe Mordserie von internationalen Ausmaßen hält die Stockholmer Sonderermittler um Kerstin Holm und Paul Hjelm in Atem.

Dieser Roman erhielt den Deutschen Krimi-Preis 2006 (3. Platz – Kategorie „international“).

Rezension:
Ein koksender, griechischer Geldsack, der sich auf einer schwedischen Parkbank seine letzten Lines zieht, bevor er im Wald von den Alpträumen seiner Vergangenheit, sowie von Wölfen und Vielfraßen zu Tode gehetzt und buchstäblich ausgelöscht wird.
Ein gutes halbes Dutzend osteuropäische Prostituierte, auf mysteriöse Weise aus ihrem Wohnheim verschwunden.
Ein beinahe neunzigjähriger Gehirnforscher, Überlebender des Holocaust, der fast manisch U-Bahn fährt, bis er auf einem jüdischen Friedhof einen grauenvollen Tod findet.
Und ein brutaler Kleinkrimineller, der bei einem versuchten Handy-Diebstahl in einem U-Bahnhof mehr als den Kopf verliert.
Alles Fälle, die erst durch die akribischen Ermittlungen der A-Gruppe einen gemeinsamen Nenner bekommen. Ein Nenner jedoch, der ebenso grauenvoll ist wie die Art und Weise auf die sowohl der griechische Ganove als auch der betagte Professor den Tod gefunden haben: Nämlich durch unvorstellbar starken Schmerz, herbeigeführt durch das Einführen einer langen Nadel unmittelbar in die Gehirnrinde.
Auch in seinem vierten Band rund um die Mitglieder der A-Gruppe erspart Arne Dahl (oder besser „Jan Arnald“, wie der richtige Name des schwedischen Literaten lautet, der erst nach den ersten fünf Romanen seiner auf zehn Bände angelegten Serie sein Pseudonym lüftete) den Lesern nichts.
Jede Menge Blut und noch mehr Tränen und tiefe Verzweiflung säumen den Weg einer ebenso spannenden wie ungewöhnlichen Geschichte, bei der am Ende völlig logisch die Gräueltaten der Nazizeit mit dem verknüpft werden, was heute in Osteuropa und anderswo Menschen Menschen antun, um daraus ihren eigenen Profit zu schlagen.
Und mit jedem Band gewinnen die einzelnen Figuren rund um Paul Hjelm mehr Tiefe, verwandeln sich und reifen von Kapitel zu Kapitel. Egal, ob es sich um den von 150 kg auf 100 kg erschlankten Gunnar handelt, der erstmalig seit zwanzig Jahren wieder auf Freiersfüßen wandelt, um Viggo, der mit einem halben Jahrhundert erstmals Vaterfreuden erlebt, um Jorge, der seine Teamkollegin Sara geehelicht hat oder um Arto, der nach einem unerwarteten Geldsegen mit der ganzen Familie kurzfristig nach Italien umgesiedelt ist, wo er – ebenso unerwartet – zum süd-osteuropäischen verlängerten Arm seiner Kollegen wird.
Sichtbare und unsichtbare Narben sind es, Narben an Leib und Seele, davongetragen im Verlauf der Vorgänger-Fälle, die jeden einzelnen prägen – Paul, dessen Ehekrise überwunden ist ebenso wie Kerstin, die sich mitten in einer persönlichen Metamorphose befindet. Genau diese Merkmale aber sind es, die die Protagonisten so menschlich machen, dem Leser so nah.
Doch Dahl kann noch mehr als vielschichtige Figuren zeichnen: Er wagt sich an Details aus der Geschichte, wie sie nicht oft und nicht gern an den Schulen gelehrt oder in den Zeitungen als Zeichen der Aufarbeitung der Nazizeit beleuchtet wird. Und indem er die grauenvollen Tatsachen für sich sprechen lässt, kommt er ganz ohne erhobenen Zeigefinger aus und hinterlässt dennoch nachhaltigen Eindruck bei den betroffenen Lesern.
Aber – und das ist die Kunst, die dieser Autor in besonderem Maße beherrscht – auch wenn das Thema, dessen er sich annimmt, noch so brisant ist, präsentiert er es doch immer im Rahmen einer temporeichen, außerordentlich packenden Geschichte, die stets mit einer guten Portion schwarzen Humors angereichert ist.
Das macht Arne Dahl zu einem in jeder Hinsicht empfehlenswerten Autor, der völlig zu Recht für seinen Roman „Falsche Opfer den Deutschen Krimi-Preis 2005 (2. Platz – Kategorie „international“) erhielt, und von dem man mit Sicherheit noch einiges hören (und hoffentlich lesen!) wird.

Miss Sophie