Das Buch direkt bei Amazon bestellen Sheila Quigley
Lauf nach Hause

Original: Run for Home
(1. Band)
Übersetzt von Monica Bachler
dtv premium im Großformat TB
ISBN 3-423-24462-3

Die 16jährige Kerry ist früh erwachsen geworden. Um nicht länger mit fünf Geschwistern und einer alkoholkranken Mutter in einer schäbigen Gemeindesiedlung in der Nähe von Newcastle leben zu müssen, will sie eine Karriere als Sportlerin machen.
Aber kurz vor der Meisterschaft wird ihre hübsche 13jährige Schwester entführt. Die Kriminalpolizei scheint bei ihren Ermittlungen nicht weiterzukommen, und so fängt Kerry auf eigene Faust an, in den Straßen der Hafenstadt nach ihrer kleinen Schwester zu suchen.
Was sie entdeckt, reicht weit in die Geschichte ihrer Familie zurück: Ihre Mutter war einmal eine ebenso schöne, ehrgeizige junge Frau wie sie selbst – bis sie das Unglück hatte, einem skrupellosen Mann zu begegnen, der vor nichts zurückschreckt, um sie zu besitzen.

Rezension:
Die letzte englische Sozialhilfeempfängerin, die in großem Stil von sich reden machte, war Joanne K. Rowling. Heute gilt sie als „die weltweit wohl bekannteste Schriftstellerin“ – nicht zuletzt deswegen, weil ihre fünf bisherigen Bücher in 61 Sprachen übersetzt wurden.
Vielleicht ist nicht zu erwarten, dass Sheila Quigley im selben Maße abräumen wird – von sich reden gemacht hat die Siebenundfünfzigjährige aber bereits allemal. Denn auch sie lebte von der Stütze, als sie einen Vorschuss von 300.000 Pfund für das Manuskript ihres Erstlings „Lauf nach Hause“ bekam.
Damit allerdings dürften sich die Gemeinsamkeiten erschöpft haben. Denn die joviale Ex-Büglerin mit der überwältigend lauten Lache und der rauchigen Stimme hat sicherlich mehr gemeinsam mit ihren Figuren als die literarische Mutter des Zauberlehrlings Harry Potter. Und für Kinder ist ihr ebenso rasanter wie stellenweise außerordentlich brutaler Debütroman erst recht nicht geeignet.
Obwohl es gerade die Kleinen und Kleinsten sind, die am meisten unter den tristen Verhältnissen in dem heruntergekommen Viertel des nordenglischen Houghton-le-Spring leiden. Denn dort lebt die alkoholsüchtige Enddreißigerin Vanessa, deren halbes Dutzend Kinder zwischen sieben und achtzehn ebenso viele verschiedene Väter hat.
Die Hoffnungslosigkeit, der tägliche Kampf gegen den Hunger, die Frustration im Hinblick auf die immer zu kleinen verschlissenen Kleider und Schuhe und nicht zuletzt die ständige Versuchung wenn nicht sogar Bedrohung durch gewissenlose Drogendealer – das alles steckt in jeder Zeile dieser präzisen Milieuschilderung.
Ein Milieu das die Kettenraucherin Quigley nur allzu gut kennt – hat sie doch seit den frühen Siebzigern genau in einem solchen Ambiente gelebt. In einem Viertel, in dem Stoff an Schulkinder verteilt wurde, bis die Bewohner sich zusammentaten, um dem allem ein Ende zu machen. Einer Gegend, in der der Zusammenhalt von Freunden oder innerhalb der Familie alles bedeutet. Ein Umfeld, in dem kleine Jungs davon träumen, Fußballstars zu werden – und man kleine Mädchen mit der Aussicht auf einen Job als Fotomodell noch viel besser locken kann als im Rest des Landes.
Genau das ist der dreizehnjährigen Claire widerfahren und nun steckt sie bis zum Hals in den allergrößten Schwierigkeiten. Ob es eine Rettung geben wird für den dummen, blauäugigen Teenager, der doch nur sein trostloses Zuhause verlassen und vorher für die Geschwister noch etwas zu essen kaufen wollte – das möchte der Leser wissen, unbedingt wissen und ist darum durchaus versucht, schon nach dem fünften Kapitel auf Seite 356 vorzublättern, um das Ende vorweg zu nehmen.
Wer es schafft, sich zu beherrschen, wird belohnt durch eine actionreiche Story mit vielen rasanten Wendungen. Manche vorhersehbar, andere fast ein wenig dick aufgetragen, doch alle geprägt von einer Fülle kraftvoller, außerordentlich lebendiger Figuren, die keinen Leser kalt lassen, egal, ob er sie hasst oder liebt.
Sicherlich in die letzte Kategorie wird Detective Inspector Lorraine Hunt fallen – die wenig zimperliche, wandlungsfähige Polizistin mit den veilchenblauen Augen. Und der Fall der von Menschenhändlern entführten Mädchen wird sicherlich nicht das letzte Abenteuer der als verdeckte Ermittlerin außerordentlich begabten Karatespezialistin mit der Flower-Power-Althippie-Mutter und dem unglücklich verliebten Kollegen sein. Zumindest ist Ende März 2005 auf Englisch bereits „Bad Moon Rising“ erschienen.
Ob die Sprache dort eine ebenso deutliche und direkte sein wird, weiß die Rezensentin nicht. Und auch nicht, ob manche weibliche Leserin daran Anstoß nehmen wird, wie jene ältere Dame, in deren Frauenverein Quigley ihr Buch noch vor dem offiziellen Erscheinungstermin vorstellte (wie wir aus einer TV-Dokumentation erfahren). Sie monierte, dass bereits auf der ersten Seite mehrfach das „F-Wort“ verwendet wurde und wollte von der Autorin wissen, ob das denn wirklich sein müsse, alldieweil sie persönlich, solche Worte nie in den Mund nehmen würde.
Worauf diese trocken antwortete: „Rennen SIE mal mit einer Kugel im Leib Ihren Mördern davon – dann sprechen wir uns wieder!“
Und genau so ist dieses Buch: Kein eleganter literarischer Spaziergang, eher eine erdige, ehrliche, atemlose Jagd mit einer klaren Sprache.

Miss Sophie