Das Buch direkt bei Amazon bestellen Mo Hayder
Tokio

Original: Tokyo
Aus dem Englischen von Ute Thiemann
Goldmann, gebunden
ISBN 3-442-31018-0

Ein unaussprechliches Geheimnis treibt die englische Studentin Grey nach Tokio: Hier hofft sie, den Schlüssel zu einer Tragödie zu finden, die sie seit Jahren verfolgt.
Ein Filmausschnitt, der Gräueltaten japanischer Soldaten im chinesischen Nanking 1937 zeigt, soll die Lösung des Rätsels enthalten. Doch der Besitzer des Films, ein chinesischer Wissenschaftler, ist nur unter einer Bedingung bereit, ihr die Bilder zu zeigen: Grey soll ein geheimnisumwittertes Elixier aufspüren, das sich in den Händen des einflussreichsten und gefährlichsten Mannes von Tokio befindet.
Grey kann nicht ahnen, dass die Geschichte dieses Elixiers eng mit ihrer eigenen Tragödie verknüpft ist – und dass sich eine blutige Spur von den Ereignissen in Nanking bis in die Gegenwart zieht …

Rezension:
Neun Jahre, sieben Monate und achtzehn Tage.
So lange hat „Grey“ versucht, das, was sie einst in einem Buch mit orangefarbenen Einband gelesen hat, bestätigt zu bekommen. Eine Information, die ebenso unvorstellbar wie grauenvoll ist – und so ziemlich das Bedeutsamste im Leben der jungen Frau.
Und nun steht sie vor dem Mann, der einzigen Person, die ihr in dieser Sache helfen kann. Shi Chongming ist ein alter Chinese, der an einer japanischen Universität lehrt und die Gräueltaten von Nanking am eigenen Leib erfahren hat. Er war dabei, als während 1937 in einem einzigen Winter rund vierhunderttausend Menschen sterben mussten – missbraucht, verstümmelt und abgeschlachtet von japanischen Soldaten.
Zwei Zeitebenen sind es, die sich vor den Augen des geschockten Lesers entfalten.
Und zwei Ich-Erzähler die so Ungeheuerliches berichten, dass die Lektüre neben dem damit verbundenen Grauen fast physischen Schmerz hervorruft.
Dort der jung verheiratete Akademiker, der seiner abergläubischen Ehefrau bäuerlicher Herkunft nicht nachgeben möchte und darum vor der drohenden Invasion nicht die Flucht ergreift, sondern bis zum bitteren Ende an die Menschlichkeit der Eroberer glaubt.
Hier die weltfremd erzogene Engländerin, kaum mehr als ein Teenager, die nie eine Schule von innen gesehen und das echte Leben erst durch und nach einem Aufenthalt in der geschlossenen Psychiatrie kennen gelernt hat. Sprachbegabt, mit Zeichentalent, einem schier unstillbaren Hunger nach Sex, wenngleich ohne die Fähigkeit, Nähe und Vertrauen zuzulassen und getrieben von eiserner Entschlossenheit, das für sie Wichtigste auf der ganzen Welt herauszufinden.
So verrückt und undurchdringlich wie die ganze Geschichte sind die Menschen, die Grey während ihrer fiebrigen Suche trifft: Die kettenrauchenden russischen Hostessen-Zwillinge, Strawberry, die Mama-san mit dem Faible für Marilyn Monroe, der schräge Jason, der sie nur „Spacko“ nennt und schließlich der zwielichtige Gangster Fuyuki, dessen Geheimnis sie enthüllen soll, um mit diesem Wissen den alten Shi zu bezahlen.
Ziemlich grauenvolle Dinge passieren – doch die allerschlimmsten wohl im Kopf des Lesers. Und als sich am Ende alle losen Fäden zu dem einen, entscheidenden Strang verdichten, da ist es auf der einen Seite für den Leser eine Erlösung zu wissen, was warum geschah – andererseits aber auch eine Qual sich vorzustellen, was Menschen Menschen antun können und wie man eine solche Erfahrung überlebt, ohne völlig durchzudrehen.
Ein unglaubliches Buch: Schaurig, traurig und einfach gut!

Miss Sophie