Das Buch direkt bei Amazon bestellen Donna Leon Christa E. Seibicke
Blutige Steine - Commissario Brunettis vierzehnter Fall

Original: Blood from a Stone
Aus dem Amerikanischen von Christa E. Seibicke
Diogenes gebunden
ISBN 3-257-06523-X

Ein kalter Winterabend. Auf dem Weihnachtsmarkt am Campo Santo Stefano duftet es nach Spezialitäten, und es ist kalt. So fallen die beiden Herren mit den ins Gesicht gezogenen Kopfbedeckungen, mit Schal und hochgeklapptem Kragen nicht weiter auf. Bunt ist es rund um sie her auf den Decken der Schwarzafrikaner, die im Herzen von Venedig ihre falschen Gucci-, Prada- und Missoni-Taschen feilbieten.
Doch mit der friedlich-fröhlichen Vorweihnachtsstimmung ist es schon bald vorbei. Es fallen fünf Schüsse. Einer der fliegenden Händler ist auf offener Straße ermordet worden.
Den Tod eines "Illegalen" aufzuklären hat niemand großes Interesse - außer Brunetti. Hinter den vertrauten Kulissen von Venedig entdeckt der Commissario eine Welt mit eigenen Gesetzen. Und als man ihm das Ermitteln von höchster Stelle aus verbieten will, ahnt er, dass er einen besonders spannenden Fall vor sich hat …

Rezension:
„Der Tote war doch bloß ein „Vucumprà …“ sagt nicht etwa einer der gedanken- und manchmal auch herzlosen Kollegen des hochgeschätzten Brunetti, der hier in seinem vierzehnten Fall ermitteln darf, sondern seine eigene Tochter.
Die Eltern sind geschockt … und müssen sich doch gleichzeitig bewusst machen, wie wenig sie über diese illegalen Straßenhändler wissen, für die sich der Ausdruck „vucumpra“ – das verballhornte „vuoi comprare“ - „willste koofen?“ eingebürgert hat. Diese meist aus Afrika stammenden Verkäufer von nachgemachter Markenware werden zwar regelmäßig bei Razzien verhaftet, aber stillschweigend doch geduldet, weil der Aufwand der Ausweisung zu groß wäre. Stattdessen drückt man ihnen den Schrieb mit der Aufforderung, das Land binnen 48 Stunden zu verlassen, in die Hand und lässt sie gehen …
Doch das ist nicht das einzige eklatante Beispiel, wie sehr politischer Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen …
Denn wieder einmal wird der Commissario massiv von seinem Vorgesetzten, Vice-Questore Patta, und dessen geheimnisvollen Hintermännern bei den Ermittlungen behindert, ja sogar offen aufgefordert, sich aus der Sache herauszuhalten.
Die Methoden, zu denen dabei gegriffen wird, sind alles andere als subtil und erschüttern einmal mehr Brunettis Vertrauen in die italienische Justiz und die politischen Vertreter seines Heimatlandes.
Und auch wenn Brunetti zunächst wie ein wütender Terrier an „seinem“ Fall dran bleibt, dabei sämtliche verfügbaren persönlichen Kontakte mobilisiert und auch vor drastischen und teilweise illegalen Maßnahmen zur Informationsgewinnung nicht zurückschreckt, so muss er doch am Ende wieder einmal mit großem Bedauern zur Kenntnis nehmen, dass es Grenzen gibt, die er nicht überwinden kann.
Das ist es, was die Romane von Donna Leon auszeichnet: Die Tatsache, dass die sympathischen Gutmenschen und all ihre treuen, selbstlosen Helfer, zwar mit ihren teilweise bauernschlauen und darum per se schon höchst lesenswerten Ermittlungsmethoden an den Kern der Sache herangelangen können, ohne dass dies jedoch irgendwelche Konsequenzen für die tatsächlich Schuldigen hätte … Was im Endeffekt ziemlich nah an der Realität sein dürfte …
Und noch etwas anderes beherrscht die Erfolgsautorin bis zur Perfektion: Eine Erzähltechnik, die auf den ersten Blick die Vermutung nahe legt, als plätschere alles nur so vor sich hin. Doch schnell ist klar, dass sich auf diese Weise kleine Alltäglichkeiten zu einem Bild verdichten, die die Atmosphäre greifbar macht und den Leser mit einbezieht. Ganz egal, ob er nun selbst ein Gourmet ist, zu jenen gehört, die mit ihren halbwüchsigen Kindern streiten, seine vielfältigen Kontakte zu alten Bekannten bei Bedarf nutzt oder sich mit inkompetenten Mitarbeitern herumschlagen muss … All dies ist den Lesern wesentlich näher als jede Verfolgungsjagd und genau deshalb haben sie Brunetti und Konsorten so sehr in ihr Herz geschlossen.
Und doch gelingt es Leon bei aller Vertrautheit und allen bekannt-beliebten Versatzstücken doch immer wieder, neue brisante und aktuelle Themen aufzutun und die Handlung im Vergleich zu den Vorgängerbänden mit neuen Schwerpunkten anzureichern (hier zum Beispiel ausführlich der Konflikt zwischen Eltern und ihren heranwachsenden Nachkommen, sowie die politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen europäischen und afrikanischen Regierungen und Unternehmen).
Genau darum ist auch dieser Brunetti ein guter Brunetti und sollte in keinem Bücherregal fehlen!

Miss Sophie