Das Buch direkt bei Amazon bestellen Michael Robotham Kristian Lutze
Amnesie

(2. Band)
Thriller
Originaltitel: The Drowning Man / Lost
Übersetzt von Kristian Lutze
Goldmann TB
ISBN 978-3-442-47643-5

Mit Schusswunden im Bein, einem abgeschossenen Finger und halb ertrunken wird Detective Inspector Vincent Ruiz in ein Londoner Krankenhaus eingeliefert, wo er Tage lang im Koma liegt.
Als er das Bewusstsein wiedererlangt, fängt sein Alptraum aber erst an. Denn er kann sich an nichts mehr erinnern.
Offenbar war er an Bord eines Schiffs auf der Themse in einen Schusswechsel verwickelt. Auf dem Boot hat man sein Blut gefunden – aber auch das von drei weiteren Beteiligten, von denen jede Spur fehlt.
Einziger Hinweis für Vincent Ruiz ist das Foto eines Mädchens, das er von früher kennt. Denn Mickey Carlyle war drei Jahre zuvor entführt worden, und Vincent Ruiz hatte damals vergeblich in dem Fall ermittelt.
Mit Hilfe des Psychologen Joe O‘Loughlin gelingt es Vincent Stück für Stück, Teile seines Erinnerungsvermögens zurück zu gewinnen.
In ihm beginnt der Verdacht zu keimen, dass Mickey noch am Leben ist und in höchster Gefahr schwebt …

Rezension:
Kein unfehlbarer Bulle geht hier ans Werk – sondern ein kantiger, eigensinniger, bindungsunfähiger (was seine diversen Ex-Ehefrauen, sofern sie nicht schon tot sind, wohl bezeugen könnten oder die erwachsenen Kinder, zu denen er kaum bis keinen Kontakt hat) Typ, der auch unter den Kollegen mehr Feinde als Freunde hat und dessen Wurzeln als Zigeunerkind ihm mindestens ebenso zu schaffen machen wie das Trauma des im Krieg verschollenen Vaters.
So lernen wir ihn kennen, im Krankenhaus, mit Schmerzen im Bein und dem abgeschossenen Finger, mit einem Gedächtnis, das nicht mehr funktioniert und diffusen Schuldgefühlen, deren Ursprung auch nicht so klar ist.
Wie gut, dass der Ich-Erzähler Vincent Ruiz aber letztendlich doch nicht allein auf weiter Flur steht: Denn zum Glück ist da Joe O’Loughlin, ein hervorragender Psychologe, der nicht nur eine ausgezeichnete Kombinationsgabe besitzt, sondern vor allem die Fähigkeit, bei anderen die Erinnerung wieder lebendig werden zu lassen. Nicht allzu alt, hat er doch unter einer Parkinson Erkrankung zu leiden – da ist es wahrlich ein Trost, dass sein Familienleben mit den beiden kleinen Töchtern und der charmanten Ehefrau nachgerade perfekt ist.
Und auch die indischstämmige Polizistin Ali ist bei der immer dringlicher werdenden Suche nicht nur nach der Wahrheit jener Nacht auf dem Fluss, sondern vor allem nach dem damals siebenjährigen Entführungsopfer, der kleinen Mickey, eine wichtige Helferin, die dem bärbeißigen Vincent mehr als einmal den Rücken frei hält.

Brillant, wie Michael Robotham in diesem atemberaubenden Thriller die Figuren zum Leben erweckt. Nicht nur seinen Protagonisten, diesen alten Sturkopf, der sich an einem Fall festgebissen hat und permanent von Schulgefühlen getrieben wird – gegenüber der Familie, die er vernachlässigte, als sie ihn am nötigsten brauchte, gegenüber seinen Mitarbeitern, die er in Gefahr bringt und vor allem gegenüber dem kleinen Mädchen, das schon drei Jahre verschwunden ist, ohne dass jedoch eine Leiche gefunden wurde.
Nein, auch der kotzbrockige Vorgesetzte, der interne Ermittler mit seinen rassistisch-chauvinistischen Ausbrüchen, der wegen Kindermord verurteilte Pädophile und der brutale König der Unterwelt, der doch auch nur ein liebender Vater ist, stehen so hautnah vor dem Leser, dass dieser bei jeder Seite meint, mehr einzutauchen in ein Geschehen, das sich immer rasanter abspielt und mit immer mehr unterwarteten Wendungen daher kommt.
Und während es mit einer wahrhaft skurrilen Truppe von Helfershelfern hinuntergeht in die faszinierende Welt der Kanalisation, wünscht sich der wie elektrisierte Leser einerseits, die letzten Puzzleteile würden so schnell als möglich gefunden werden – und hofft doch gleichzeitig die letzte der knapp 450 Seiten des Romans sei noch recht weit weg …

Das Ende ist ein Knaller – und steht dem Rest des Buches in keiner Weise nach.
Und bestätigt die Ansicht der australischen Crime Writers’ Association, die diesen Thriller zum Krimi des Jahres 2005 kürte.
Also. Nichts wie für einen gefüllten Kühlschrank sorgen, Klingel abstellen und dann lesen, lesen, lesen!

Miss Sophie