Das Buch direkt bei Amazon bestellen T.C. Boyle Dirk van Gunsteren
Talk Talk

Original: Talk Talk
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren
Hanser gebunden
ISBN 3-446-20758-9

Sie ist jung, schön, zierlich, gehörlos und lässt sich wirklich nichts gefallen. Als Dana Halter eines Morgens ein Stoppschild überfährt, gerät sie in die Fänge der Justiz, die ihr Delikte vorwirft, die sie nie begangen hat.
Es dauert Tage, bis sich herausstellt, dass Dana Opfer eines Betrügers geworden ist, der mit ihrer Kreditkarte bezahlt, Schecks auf ihren Namen ausstellt - und überhaupt ihre ganze Identität gestohlen hat.
Als Dana nach erniedrigenden Tagen im Gefängnis auch noch ihren Job verliert, hat sie nur noch ein Ziel: diesen elenden Betrüger, der auf ihre Kosten in Saus und Braus lebt, zu finden.
Der Kampf beginnt!

Rezension:
„Talk talk“ steht im amerikanischen Gehörlosenjargon für „gebärden“, d.h. mit den Händen plaudern.
Nach Plauderei allerdings steht der Protagonistin dieses Romans nicht wirklich der Sinn: Völlig überraschend und für sie (und den Leser) unbegreiflich wird die Gehörlosenlehrerin Dr. Danan Halter bei einer Routinekontrolle festgenommen und tagelang den tiefsten Demütigungen in einem Gefängnis ausgesetzt, bis sich herausstellt, dass alles ein Irrtum war.
Oder besser (nein, schlimmer!) kein simpler „Irrtum“ sondern ein Fall von „Identitätsdiebstahl“, bei dem sich ein völlig fremder Mann auf noch unbekannte Weise der persönlichen Daten der jungen Frau bemächtigt hat, um für sich selbst Dokumente mit eben diesem Namen und den entsprechenden Daten zu beschaffen.

Der Rest ist ein wahrer Höllenritt durch eine ebenso unglaubliche wie beängstigende Geschichte!

Allein die Vorstellung, jemand könne sich „einfach so“ – nur mit Hilfe von Name, Anschrift, Geburtsdatum und Sozialversicherungsnummer relativ problemlos einen Satz falscher Papiere (Führerschein, Kreditkarten etc.) besorgen, dann auch noch munter Geschäfte tätigen und den echten Kontoinhaber massiv schädigen … das kann der von der deutschen Bürokratenmentalität zuweilen zwar eher genervte, dann aber im Hinblick auf eine solche Entwicklung über all die Formularhürden hierzulande doch recht frohe, teutonische Leser kaum nachvollziehen.
Umso greifbarer jedoch ist die Wut und Frustration, die Dana – jene vom Identitätsklau betroffene Frau – und ihren Partner dazu bewegen, sich wie Terrier auf die Spur des Verbrechers zu begeben.
Mehrmals sind die beiden ganz dicht dran, William Peck Wilson zu stellen – doch jedes Mal wenn die Situation für den Hochstapler, der auch vor massiver Gewaltanwendung nicht zurückschreckt, ausweglos scheint, gelingt ihm die Flucht.
Und, nein, der Leser schätzt dies gar nicht, denn auch wenn er über die Beschreibungen der Lebenserfahrungen dieses verkrachten Pizzabäcker, gehörnten Ehemann und Vater, dem die Tochter gewaltsam entfremdet wurde, manchmal fast, aber nur fast!!! Mitleid mit dem smarten Betrüger haben möchte, hinterlassen seine Tricks (bei aller Genialität) doch immer einen unglaublich schlechten Beigeschmack.

Das Ende – nach einem spektakulären doppelten Showdown, der förmlich nach Verfilmung schreit – ist völlig unerwartet und bricht mit gängigen Klischees. Gerade aber hier zeigt sich die wahre Kunst, denn der Autor bedient eben nicht die Erwartungshaltung seiner Leser.

Neben der phänomenalen Spannung, die durch die unterschiedlichen Erzählperspektiven erzeugt wird, und den Thriller zum absoluten Pageturner macht, liefert T.C. Boyle in seinem Roman aber auch einen Einblick in die Welt der Gehörlosen, wie es sonst selten der Fall ist.

So wird deutlich, welche Schwierigkeiten das tägliche Leben in der Welt der Hörenden für jemanden, dem dieser Sinn fehlt, mit sich bringt (Schwierigkeiten, sich bei komplizierten Sachverhalten verständlich zu machen, das Aufsehen, das ein Gehörloser generell durch seine Artikulation erregt und die manchmal unwillkürlich produzierten Laute).
Und hatten Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie sich wohl zwei Personen, deren Kommunikation üblicherweise via Lippenlesen oder Gebärdensprache abläuft, bei einer Verfolgungsjagd auf der Autobahn mit 180 km/h, über ihr weiteres Vorgehen verständigen?
Andererseits ist da so viel Stärke und Stolz in der Person der Dr. Dana Halter, dass Mitleid sicherlich eines der letzten Gefühle ist, die sich dem Leser aufdrängen.
Zumal bei der Lektüre eine sehr unerwartete Erkenntnis auftaucht: Die gehörlose Frau liebt Musik nur, wenn sie laut ist, wenn sie den Rhythmus spürt … aber der Punkt ist: Sie vermisst nichts!
Sie trägt ihre eigene Musik, ihr eigenes Empfinden für Sinnesräusche (die dann eben visueller Natur sind) in sich. Und hat gar nicht den Wunsch, einen Sinn zu besitzen, den wir Hörende für so unglaublich wichtig halten, weil sie in ihrer eigenen Welt, ihrer eigenen Kultur lebt, die das Fehlen des Gehörs nicht als Manko betrachtet!

Ein starker Roman – und alles andere als Thrillerdurchschnittskost!

Miss Sophie

. Die Spannung,.