Das Buch direkt bei Amazon bestellen Arnaldur Indridason Coletta Bürling
Frostnacht

(7. Band)
Original: Vetrarborgin
aus dem Isländischen von Coletta Bürling
Edition Lübbe gebunden
ISBN 3-7857-1593-5

Ein offenbar kaltblütig ausgeführter Mord lässt den Menschen in Island das Blut in den Adern gefrieren – mehr noch als die eisigen Stürme, die in diesem ungewöhnlich kalten Winter über die Insel im Nordatlantik hinwegfegen: Ein kleiner Junge isländisch-thailändischer Abstammung wird erstochen aufgefunden. Im eigenen Blut am Boden festgefroren.
Wie kann es zu einem derart grausamen Mord kommen? Wer bringt so etwas fertig?
Die Ermittlungen von Erlendur, Sigurður Óli und Elinborg von der Kripo Reykjavík konzentrieren sich zunächst auf das direkte Umfeld des Kindes: die Lehrer, die Mitschüler und die Angehörigen.
Je mehr sie dabei in Erfahrung bringen, desto tragischer erscheint der Tod des kleinen Jungen.

Rezension:
Was kann es Schrecklicheres geben als das Bild eines schmächtigen Zehnjährigen, der, mit nur einem Schuh bekleidet, erstochen in seinem eigenen Blut festgefroren auf der Erde liegt – nur wenige hundert Meter von seinem Zuhause entfernt?
So empfinden es auch die Kriminalbeamten – von denen aber jeder noch einen persönlichen Grund hat, warum der Fall des von allen gemochten toten Elias sie oder ihn ganz besonders berührt.
Elinborg fühlt sich als berufstätige Mutter der Thailänderin, die ihr Kind verloren hat, sehr nahe.
Sigurður Óli muss sich mit dem Wunsch seiner Frau auseinandersetzen, ein Kind adoptieren zu wollen, ein kleines Wesen, das vielleicht ebenfalls als erkennbar aus dem Ausland stammender Junge oder Mädchen mit Fremdenfeindlichkeit zu kämpfen haben würde.
Und Kommissar Erlendur fühlt sich nicht nur aufgrund des nach wie vor turbulenten und sehr wechselhaften Verhältnisses zu seinem eigenen Sohn und vor allem zu seiner Tochter persönlich betroffen.

Während die Ermittlungen voranschreiten, erfährt der Leser wieder ein paar Details aus der Vergangenheit der Protagonisten, die sich wie Puzzle-Stückchen in das Bild hineinfügen, das er im Lauf der Serie gewinnen konnte.
Sie sind ausgesprochen menschlich, diese Helden, die Indridason geschaffen hat – was bedeutet, dass sie Fehler machen: Manchen Spuren nicht zeitnah nachgehen, die ihnen zugespielten Informationen falsch interpretieren, sich im Umgang mit Kollegen, Familie, aber auch Zeugen und Verdächtigen unklug, schroff oder richtiggehend unangebracht verhalten.

Dieser Roman braucht keine spektakulären Verfolgungsjagden, wenngleich er ansatzweise auch über dieses Element verfügt. Die Spannung ergibt sich aus den vielen Details, die in den Vernehmungen zutage treten.
Die Problematik etwa der ausländischen (hier überwiegend asiatischen) Jugendlichen, die sich als Teenager mit einem völlig neuen Leben in einer ihnen komplett fremden Sprache zurechtfinden sollen, oftmals in eine Patchwork-Familie, deren isländischer Teil sie nicht immer mit offenen Armen Willkommen heißt. Welche Probleme muss es mit sich bringen, wenn gefordert wird, die bisherige Heimat und das eigene Nationalgefühl komplett zu verleugnen?
Und welch explosive Mischung, wenn solche Kids auf extrem ausländerfeindliche Altersgenossen oder gar Lehrer treffen?
Natürlich gilt es außerdem die „üblichen“ Möglichkeiten bei einem solchen Verbrechen auszuloten: Ein pädophiler Hintergrund vielleicht, Kontakte mit der Drogenszene oder ein innerfamiliärer Konflikt ...

Gekonnt und nie langatmig entwickelt sich die Handlung bis zu ihrem völlig überraschenden Schluss. Und zwar mit genügend losen Enden, die auf eine Fortsetzung in weiteren Bänden hoffen lassen.
Dieser Autor macht fürwahr Lust auf mehr – und er verleiht seinen Figuren eine ganz eigenständige Stimme und Farbe, die sie unverwechselbar aus der Vielzahl der skandinavischen Protagonisten herausstechen lassen.

Miss Sophie