Das Buch direkt bei Amazon bestellen Thea Dorn
Mädchenmörder

Ein Liebesroman
Manhattan gebunden
ISBN 978-3-442-54583-4

Spätsommer in Köln:
Die 19-jährige Julia sitzt an einer Haltestelle und wartet auf den Nachtbus. Doch nicht der Bus liest sie auf, sondern ein limonengelber Porsche. Am Steuer: Ein ehemaliger Radrennfahrer, den eine Knieverletzung gezwungen hat, seine Karriere im Frühjahr zu beenden.
Der abgestürzte Hochleistungssportler entlarvt sich als sadistischer Entführer: Tagelang hält er Julia in einem Keller gefangen, demütigt sie, foltert sie.
Und Julia ist nicht sein erstes Opfer. Mindestens zwei Frauen hat er bereits misshandelt und ermordet - die Einser-Abiturientin ist jedoch die erste, die ihm nicht mit Furcht und Unterwürfigkeit, sondern mit Trotz und Verachtung begegnet.
Als die Polizei an seiner Tür klingelt, beschließt er, Julia im nahe gelegenen Moor zu töten. Der Versuch misslingt: Etwas an Julia zwingt ihn, sie mitzunehmen auf seine Flucht durch Belgien, Frankreich und Spanien.
Dabei mordet und vergewaltigt er weiter, und je blutiger die Serie wird, je mehr Frauen und Mädchen sterben, desto drängender stellt sich die Frage, ob Julia wirklich nur Geisel ist.
Oder ob ihre Verwandlung zur Mittäterin nicht längst begonnen hat ...

Rezension:
"Erst kommt das Fressen, dann die Moral ..." - oder besser: Erst kommt das Schlafen, Essen, Trinken, keine-Schmerzen-zugefügt-bekommen, dann Selbstachtung, Stolz, Anstand, Menschlichkeit ..."

... denkt die 19jährige Julia, als sie sich ihrem Peiniger in Dankbarkeit zuwendet, weil er ihr einen Becher Wasser reicht, nachdem er sie seit Stunden ohne Nahrung oder Flüssigkeit in einem Wohnwagen auf einem belgischen Campingplatz geknebelt, gefesselt, entblößt und mit verbundenen Augen in Ungewissheit über ihr künftiges Schicksal liegen ließ.

Wohlgemerkt, nachdem er sie seit Tagen erst in einem Aachener Fahrradkeller, dann auf der Flucht beschimpft, geschlagen, gefoltert, missbraucht und sich an ihrer Angst geweidet hat.

Grausam ist die Geschichte, die die Ich-Erzählerin dem Leser präsentiert - einem Leser, der stellvertretend für die geifernde, sensationsgeile Öffentlichkeit wissen will, was WIRKLICH geschah zwischen Opfer und Täter in jenen gemeinsam verbrachten Tagen.

Präzise ist der Bericht und umfassend, obschon die genauen Details der sadistischen Behandlung weitgehend der Phantasie des Lesers überlassen bleiben.
Stattdessen schimmern Galgenhumor, Selbstironie und eine abgeklärte Leichtigkeit durch jeden Absatz, in dem die junge Kölnerin so schlüssig anführt, warum sie so und nicht anders handeln konnte und schlüssig beweist, dass jeder andere in ihrer Situation dasselbe getan hätte.

Immer mehr wird die Schilderung der Ereignisse zu einem lebhaften Dialog mit dem Leser, der die Gefühlsachterbahn des Mädchens nur zu gut nachvollziehen kann.
Eins ums andere werden alle Argumente ins Feld geführt (und entkräftet), die Zweifel an der Möglichkeit und Bereitschaft zur Flucht hätten aufkommen lassen können.

Und während Julia fast nonchalant über das, was geschah, plaudert und die Erzählung immer wieder mit kleinen Kommentaren allgemeiner Art würzt (etwa mehrfach geklammerte Einschübe im Zusammenhang mit dieser Niederschrift), führen diese kleinen Brüche immer mehr dazu, dass das Gefühl von Fiktion in den Hintergrund dringt und stattdessen eine große Nähe zwischen Erzählerin und Leser entsteht.

Eben diese Nähe vergrößert und verringert gleichzeitig den Schock, der sich bei der Lektüre des zweiten Teils einstellt.
Einerseits möchte man umfallen, ungläubig werden, sich selbst und alle Wahrnehmungen infrage stellen.
Andererseits ist da ein leises Begreifen, irgendwie lässt sich die Faszination und Anziehungskraft einer fast unvorstellbaren Gewalterfahrung nachvollziehen.

Was am Ende die wirkliche Wahrheit ist - Stockholm Syndrom, echte Liebe oder etwas ganz anderes - wer mag das wirklich wissen ...
Eins jedoch ist klar: Wieder einmal ist es Thea Dorn gelungen, nicht nur einen psychologisch dichten, hintersinnigen und spannenden Pageturner zu schaffen, sondern vor allem einen Roman, der gängige Konventionen und Moralvorstellungen über den Haufen wirft und trotz eines auf den ersten Blick eindeutigen Schlusses noch ganz viele Fragen offen lässt.

Miss Sophie