Das Buch direkt bei Amazon bestellen Elisabeth Herrmann
Die letzte Instanz

List TB
(3. Band Joachim Vernau)
ISBN 978-3-548-60764-1

Vor dem Landgericht Berlin wird Anwalt Joachim Vernau Zeuge einer merkwürdigen Szene:
Die Rentnerin Margarethe Altenburg versucht, einen Obdachlosen zu töten, und wird noch am Tatort gestellt.
Ist sie verwirrt? Oder ist sie eine kaltblütige Mörderin?
Noch vor Ort übernimmt Vernau die Verteidigung Margarethe Altenburgs - und reist in ihre Heimatstadt Görlitz.
Der harmlose Ausflug wird für Vernau zu einer schockierenden Begegnung mit der Vergangenheit der alten Frau - und den Auswirkungen der Nachwendezeit in den östlichen Regionen Deutschlands.
Was ist damals in Görlitz geschehen?

Rezension:
Vernau ist zurück!
Der charmante Anwalt der kleinen Leute mit seiner unleugbar sozialen Ader ist wieder im Namen der Gerechtigkeit unterwegs - oder vielleicht auch deshalb, weil er mit der ihm eigenen Beharrlichkeit den Dingen auf den Grund gehen (und nebenbei seinem tristen Alltagsleben entfliehen möchte).

Anfangs allerdings erwarten den Leser einige, zunächst zusammenhanglos anmutende, Szenen, die aber natürlich schon bald ihren tieferen Sinn enthüllen: Ein gehetzter Lastwagenfahrer baut einen folgenschweren Unfall, ein feister Immobilienemporkömmling nimmt ein unrühmliches Ende und eine alte Dame veranstaltet "High Noon" vor dem Amtsgericht Charlottenburg.

Und schon in diesen kurzen Sequenzen hat man einen Vorgeschmack darauf, was alles in diesem wunderbaren dritte Band der Reihe enthalten sein wird: Viel Trauriges und Dramatisches, Spannendes und Undurchsichtiges, sowie eine Reihe tragikomischer Szenen und verfahrener Situationen.

Die Schießerei direkt von seinen Augen zum Beispiel rüttelt Vernau gewaltig durch - ist es doch sein eigener Mandant, ein Obdachloser, der da mit knapper Not dem Tod entgeht.
Auf der anderen Seite wittert er einen großen Mordprozess, der ihm mehr als gelegen käme - finanziell und auch als Herausforderung im Gegensatz zu seinem normalen Alltagstrott. Denn dass er mit seinen aktuellen Fällen nicht in der ersten Liga spielt, wird ihm gerade an diesem Tag noch einmal schmerzlich bewusst, trifft er doch den früheren Studienkollegen Marquart, der zum gefeierten Staranwalt geworden ist.
Auch die Begegnung mit der ebenso unwiderstehlichen wie unberechenbaren und offensichtlich in erster Linie karriereorientierten Staatsanwältin Salome Noack trägt das ihre dazu bei, ihn sich in diese Sache verbeißen zu lassen.
Das tut er, obwohl (oder gerade weil?) ihn seine Recherchen hinaus aus Berlin führen, nach Görlitz, in die geteilte Stadt an der polnischen Grenze.

Schnell wird klar, dass jemand etwas gegen Vernaus Aktivitäten hat, denn es geht ihm an den Kragen und Gefahr liegt in der Luft.
Keine Frage jedoch, dass ein Kerl wie dieser Mittvierziger, der es nicht lassen kann, gegen das System und seine in vorauseilendem Gehorsam verbogenen Vertreter aufzubegehren, dadurch erst recht motiviert wird, am Ball zu bleiben.

Es wird turbulent - nicht zuletzt, weil Vernau und seine Kanzleipartnerin parallel alles in ihrer Macht stehende tun müssen, um die Vertreibung aus ihrem beruflichen Domizil zu verhindern - spannend, skurril und sehr tragisch.
Es geht um Schuld, Sühne, Rache, Vergebung und Vergeltung, um die Grenze zwischen gut und böse, zwischen Legalität und Moral.

Wie Vernau ist es auch dem Leser nicht möglich, sich vorbehaltlos auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Wie er wünscht man sich bei der Lektüre, den Mantel des Vergessens über die eine oder andere Tat breiten zu können, um nicht nach den Buchstaben eines Gesetzes richten zu müssen, das für manche Situation im Leben so völlig inadäquat erscheint.

Gut, dass es auch Highlights gibt - etwa Vernaus immer wieder für Überraschungen sorgende Mutter, die ihrer künstlerischen Ader immer mehr freien Lauf lässt und sich ganz und gar nicht so benimmt, wie man es von einer Dame reiferen Alters erwarten würde. Und irgendwie wünscht man sich, selbst im Rentenstand so viel Energie und Lebensfreude zu besitzen, wie Frau Vernau und ihre bärbeißige Mitbewohnerin Hüthchen.
Auch darf neben Marie-Luise und dem Ex-Praktikanten Kevin natürlich auch der "polnische Gott der Autoschrauber" nicht fehlen, sowie weitere liebevoll ausgearbeitete Figuren, die man gern auch in Zukunft einmal wiedertreffen möchte.

Es ist die faszinierende Mischung aus Realität, gut recherchierten wahren Begebenheiten (denn natürlich gibt es sie, die Suppenküchen auf der einen und die In-Lokale mit ihren 300-Euro-Menüs auf der anderen Seite, die Gewinner und Verlierer der Wende, die Stadtviertel, bei deren "Sanierung" schon mal mit unlauteren Methoden gearbeitet wird ...) und einer spannenden Krimihandlung, die alle Höhen und Tiefen des menschlichen Miteinanders in der gesamten Bandbreite abbildet.

Am Ende dieser Geschichte, in der es weit mehr Verlierer als echte Gewinner gibt, bleibt dem Leser viel, worüber es sich nachzudenken und auch mit anderen zu diskutieren lohnt.
Außerdem die Gewissheit, einen Roman in der Hand zu halten, dessen Lektüre auch durchaus ein zweites und drittes Mal denkbar ist.
Und schließlich die Vorfreude auf weitere Vernau-Bände – wie den ganz aktuellen, "Versunkene Gräber".
Und noch mehr Verfilmungen davon ...

Miss Sophie