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Lee Raven

Original: Lee Raven - Boy Thief
Deutsch von Sophie Zeitz
Hanser TB
ISBN 978-3-446-23307-2
(Kinder 10)

London im Jahr 2046:
Wenn er nur nicht diese tolle Bildergeschichte darin entdeckt hätte - dann hätte der kleine Taschendieb Lee Raven das Buch sicher nicht geklaut.
Kurz nach dem Diebstahl wird der ursprüngliche Eigentümer des Buches ermordet.
Lee flieht in die Londoner Kanalisation, wo er das unglaubliche Geheimnis entdeckt: Das Buch ist magisch, viele Jahrtausende alt und erzählt jedem Leser genau die Geschichte, die er sich wünscht.
Kein Wunder, dass es viele Schurken gibt, die Lee Raven das Buch abjagen wollen.

Rezension:
Wir schreiben das Jahr 2046, das Benzin ist alle und ganze Teile von England sind gesperrt, weil komplett überflutet.
Was nicht viel anders ist als im London heutiger Tage oder zu Zeiten eines Oliver Twist, das ist das Schicksal der Straßenkinder - jener bettelarmen Jungen und Mädchen, die sich ihren Lebensunterhalt durch kleine Diebereien beschaffen und unter Brücken und in Parks übernachten. Manche, weil sie kein Zuhause haben - andere, weil ein freies Leben, selbst unter erschwerten Bedingungen, allemal besser ist als ihr Zuhause.
Letzteres trifft auf den zwölfjährigen Lee Raven zu - Spross einer Familie von Dieben und Einbrechern. Die vier Brüder sind meist damit beschäftigt, ihn zu hänseln, während der Vater nur zu gern die Fäuste sprechen lässt - alles nur, weil der Junge Legastheniker ist ...
Auf der Straße geht es ihm gar nicht so schlecht - hat er doch den Beruf des Taschendiebes von der Pieke auf gelernt. Bis, ja bis er die falsche "Kundin" erleichtert - eine Unterweltkönigin, die ihre Häscher auf den Jungen mit den flinken Fingern ansetzt.
Erst dann jedoch beginnt das eigentliche Abenteuer: Nichtleser Lee lässt beim Buchhändler, Mr. Maggs, ein geheimnisvolles Buch mitgehen, das so unglaubliche Eigenschaften besitzt, dass es plötzlich ganz viele Menschen haben wollen.
Um den Verfolgern zu entgehen, wählt der Junge den Weg in die Unterwelt - er geht in die Kanalisation ...
Wie sich die Flucht entwickelt und was bis zum Moment des atemberaubenden Showdowns (und danach) geschieht, das beschreibt das Mutter-Tochter-Autorenteam so plastisch und packend, dass der Leser kaum Atem holen, geschweige denn das Buch aus den Händen legen kann, bis er bei Seite 300 angelangt ist.
Die Atmosphäre in der Kloake ist so lebensnah dargestellt, dass man die glitschigen Wände fast zu spüren, den bestialischen Gestank fast zu reichen und das Getrippel vieler Rattenfüße fast zu hören vermag.
Zusätzliche Fahrt gewinnt das Ganze durch die Tatsache, dass unterschiedliche Erzählstimmen aus ihrer jeweiligen Perspektive zum Zug kommen - neben Lee sind es der Buchhändler, dessen Ziehtochter Janaki (die er einst noch vor ihrer Geburt beim Pokern gewann), die zwielichtige Schriftstellerin Nigella Lurch (die ihre ganz eigenen Ziele verfolgt), Lees Brüder Billy (ein gewaltiges Schlitzohr) und Finn (leider viel zu schüchtern, um sich gegen die anderen durchzusetzen), Julie Ardy (einer nur äußerlichen "Unschuld vom Lande") und nicht zuletzt das Buch selbst.
Die Handlung ist traurig und tragikomisch und gnadenlos witzig, dabei spannend, stellenweise grausam (es wird auch gestorben) und gleichzeitig fantastisch, poetisch und tröstlich.
Es geht um Freundschaft und darum, andere Werte höher und schützenswerter zu sehen als nur den Mammon allein. Mut spielt eine Rolle - und Offenheit, die nicht gleichzeitig Schwäche bedeuten muss.
Der Stil - großes Lob geht an dieser Stelle an die Übersetzerin Sophie Zeitz, die ihr Können bereits in der Lionboy-Trilogie unter Beweis stellte - wechselt fließend und bei aller Diskrepanz harmonisch zwischen der Gossensprache der Ravens und den wortgewaltigen Schilderungen ruhmreicher Taten längst vergessener Helden.
Und wie Lee wünscht sich der Leser, nie wieder von diesem Buch mit seinem Duft von Honig und Orangen getrennt zu werden um noch eine und noch eine und noch eine wunderbare Geschichte zu hören.
Tja, und wenn dies schon nicht möglich ist - dann sollen wenigstens Louisa Young und ihre Tochter Isabel noch mehr solche zauberhaften Bücher schreiben ... und noch eins ... und noch eins ...

Miss Sophie