Das Buch direkt bei Amazon bestellen Ursula Poznanski
Erebos

Loewe Klappenbroschur
ISBN 978-3-7855-7361-7
(ab 12 Jahre)

In einer Londoner Schule wird ein Computerspiel herumgereicht - Erebos. Als Raubkopie geht es von Hand zu Hand und wer es spielt, kommt nicht mehr davon los.
Dabei sind die Spielregeln äußerst streng: Jeder hat nur eine Chance, Erebos zu spielen. Er darf mit niemandem darüber reden und muss immer allein spielen. Und - wer gegen die Spielregeln verstößt oder seine Aufgaben nicht erfüllt, fliegt raus und kann das Spiel auch nicht mehr starten.
Merkwürdig ist aber, dass die Aufgaben, die Erebos stellt, nicht in der Welt von Erebos, sondern in der Wirklichkeit ausgeführt werden müssen. Die Fiktion des Spiels und die Realität verschwimmen auf irritierende Weise.
Auch Nick ist süchtig nach Erebos, bis das Spiel ihm befiehlt, einen Menschen umzubringen.
Natürlich führt er diesen Auftrag nicht aus und wird prompt vom Spiel ausgeschlossen.
Als auch noch sein bester Freund Jamie schwer verunglückt, begreift Nick: Erebos ist weitaus mehr als nur ein harmloses Computerspiel!

Rezension:
Na, schon mal das eine oder andere Computerspiel on- oder offline gespielt? ;-) und vor lauter Begeisterung Zeit, Raum und das Aufsuchen der sanitären Anlagen (fast) völlig verdrängt?
Ganz egal, ob die Antwort "ja / nein / weiß nicht" lautet - nach der Lektüre DIESES Romans wird man wohl nie wieder etwas installieren können, ohne sich insgeheim zu wünschen, auch nur ein einziges Mal auf etwas wie "EREBOS" zu stoßen.
Der Sogwirkung, die dieses einzigartige Spiel auf die Protagonisten des Romans ausübt, kann sich nämlich auch der Leser nicht entziehen.

Mehr und immer mehr möchte er wissen über die Fantasiewelt, in die sich Nick alias Sarius hineinbegeben hat. Dort wo es gilt, bis kurz vor der alles entscheidenden Schlacht Kämpfe gegen menschliche und tierische Ungeheuer zu bestehen, Allianzen zu bilden oder Gegenspieler auszutricksen, um auf diese Weise die eigenen Eigenschaften und Fähigkeiten zu steigern und so auf ein höheres Level zu gelangen.
Und genau wie der Sechzehnjährige ist auch der Leser ausgesprochen ungehalten über jede Unterbrechung von außen, die die Verbindung zu einer Lektüre kappt, bei der Realität und Fiktion zu einer fast untrennbaren Einheit verschmolzen sind.

Immer enger zieht sich das Netz zu ... Erklärungen sind überflüssig, zu selbsterklärend ist die Sucht, weiter- und immer weiterzuspielen, unabhängig von Tages- und Nachtzeit, ungeachtet jeglicher familiären, schulischen oder sportlichen Verpflichtungen. Gleiches gilt für die Bereitschaft, die zunächst vor allem kuriosen Aufträge des unerbittlichen Spielmachers in Gestalt seines "gelbäugigen Boten" so schnell als möglich auszuführen, damit EREBOS nur ja weitergeht.

Hauptfigur Nick ist nicht wirklich ein "Held ohne Furcht und Tadel" - zumindest nicht in der "echten Welt". Der langhaarige Teenager, den der Leser anfangs als aufrechten, selbstbewussten Jugendlichen kennen lernt, auf Fairness bedacht und in der Lage, Mitgefühl zu empfinden, nimmt nach und nach genau die Haltung ein, die er vorher bei anderen verachtet hat.
Er verschafft sich Vorteile, findet Ausreden, lügt Freunde und Familie an, wird verletzend und ist in seinen Taten oft immer nur einen Schritt von der Illegalität entfernt.
Obwohl er die Veränderungen bei sich und bei anderen erkennt und ihm auch bald klar wird, dass größere Dinge im Spiel sind als nur ein von allen zum Staatsgeheimnis gemachtes Adventure, kann er so lange nicht aufhören, bis Leib und Leben des Vertrauenslehrers und seines besten Freundes in großer Gefahr sind. Und selbst dann noch ist die Faszination für das Spiel unterschwellig fast größer als der Wille, die Hintergründe und Strippenzieher zu entlarven und unschädlich zu machen, bevor noch mehr Unheil geschieht.
Nur dank der Unterstützung echter Freunde mit den passenden Fachkenntnissen und einer detektivischen Meisterleistung gelingt es dem junge Engländer, in wirklich allerletzter Minute das Ruder noch einmal herumzureißen und sich und die anderen aus der unheilvollen Verstrickung zu befreien.

Was die Wienerin Poznanski da geschaffen hat, ist mehr als "nur" ein verdammt guter Roman für Jugendliche (und Erwachsene).
Auf beeindruckende Weise demonstriert sie, wie einfach es ist, in Zeiten von Web 2.0., mit all der damit verbundenen Interaktivität und den technischen Möglichkeiten, Macht durch Manipulation auszuüben - auf die Spieler ihres (fiktiven) Fantasy-Abenteuers und in gewisser Weise auch auf die Leser. Denn beide können - und vor allem WOLLEN - bald nicht mehr zwischen den unterschiedlichen Ebenen unterscheiden.

Die Figuren sind so lebensnah, dass eine Identifikation mit ihnen ein Leichtes ist: Gute bis Mittelgute Familienverhältnisse mit den üblichen (ausbildungsbedingten) Spannungen hier, dem einen oder anderen dramatischen persönlichen Erlebnis dort. Schulklassen mit der üblichen Mischung: Hier der Stille, dort die Schlaue, der Vamp neben dem Mauerblümchen, die unvermeidlichen Vollpfosten neben den ganz normalen Mitschülern.

Die Spielsucht, die wie eine Seuche um sich greift, ist ebenso gut nachvollziehbar, wie die Tatsache, dass sich die Kids gegenseitig belauern, bespitzeln oder sogar mit Hilfe brutalster Methoden für Verstöße gegen die Regeln der virtuellen Welt bestrafen. Und besser könnte man nicht zeigen, WIE leicht auch die letzten Hemmschwellen fallen, wenn sich Angst und Faszination die Waage halten.

Die spannende Handlung ist stringent bis zum bombastische Finale mit seiner völlig unerwarteten, dabei aber durch und durch logischen Auflösung kurz vor einem nervenzerfetzenden Showdown. Als wäre das noch nicht genug, bleibt am Ende unter Garantie kein Auge trocken, so fesselnd und herzzerbrechend zugleich ist der Schluss.

Dieser Thriller ist eine Meisterleistung.
Doch Achtung: Egal ob Jungen, Mädchen oder Erwachsene - bei der Achterbahnfahrt durch die gut vier- bis fünfstündige Lektüre gibt es keinen Nothalt. Wer einmal das rote Cover aufgeschlagen hat, ist bis zum letzten der 485 Seiten ein Gefangener von EREBOS.

Miss Sophie