Das Buch direkt bei Amazon bestellen Jörg Maurer
Hochsaison

Alpen-Krimi
(2. Band Kommissar Jennerwein)
Fischer TB
ISBN 978-3596186532

Sterben, wo andere Urlaub machen ...
Beim Neujahrsspringen in einem alpenländischen Kurort stürzt ein Skispringer schwer - und das, wo Olympia-Funktionäre zur Vergabe zukünftiger Winterspiele zuschauen. Wurde der Springer etwa beschossen?
Kommissar Jennerwein ermittelt bei Schützenvereinen und Olympia-Konkurrenten.
Als ausgerechnet in einem Gipfelbuch per Bekennerbrief weitere Anschläge angedroht werden, kocht die Empörung im Ort hoch: Jennerwein muss den Täter fassen, sonst ist die Hochsaison in Gefahr...

Rezension:
Fast unmittelbar im Anschluss an Olympia - die Bilder von Uhrmann und Konsorten noch vor Augen - und dann das: Ein Däne, der beim Schanzensprung verunglückt!

Doch wie die Tragödie eingeführt, beschrieben und aufbereitet wird, das ist Maurer pur!
Man merkt es direkt in dieser ersten Szene - zum Beispiel an der Schilderung der Journalisten, die sich gleich hernach - quasi noch während der unglückliche Athlet auf den Hang aufprallt - mit den Recherchen zu diesem oder jenem Fakt beschäftigen (wer war der Älteste, wer der Jüngste und wer die erste außereuropäische tote Frau in vergleichbaren Fällen?).

Und nicht genug mit dem schwer lädierten Skispringer aus nordischen Landen - es bleibt international: Denn schnell hat ein Geschäftsmann aus Dubai mit großen Plänen seinen Auftritt, standesgemäß begleitet von einem marokkanischen Personenschützer, der sich auch von einem koreanischen Killerkommando nicht aus der Ruhe bringen lässt ...

Auch die Zahl der Toten steigt rapide an - am Ende hat mehr als ein gutes halbes Dutzend Menschen das Zeitliche gesegnet ...

Es ist wirklich ein bunter Reigen an schillernden Figuren, die Musikkabarettist Maurer da zwischen zwei Buchdeckeln zusammengebracht hat:
Angefangen vom ganz lange unerkannten Autor zahlreicher Bekennerschreiben über die bereits genannten fernöstlichen Kriminellen, arabische Investoren, internationale Sportfunktionäre, eine Pensionswirtin mit einem Faible für Groschenromane, bis hin zu alten Bekannten aus dem ersten Band, inklusive zahlreicher Originale unter den Einheimischen - manche von ihnen Befürworter, andere dezidierte Gegner der Bewerbung für Olympia 2018.
Und natürlich Kommissar Jennerwein und sein Team, bestehend aus den beiden örtlichen Polizeiobermeistern Ostler und Hölleisen, Polizeipsychologin Frau Dr. Schmalfuß, Austauschkommissarin Schwattke aus Recklinghausen, sowie der Allgäuer Hauptkommissar Stengele.
Plus die Leute von der Spurensicherung - allen voran die formidable und unerschrockene Gisela.
Sowie zahlreichen Prominenten - unter ihnen, so viel sei verraten: Pierre Brice!

All diese Menschen müssen einsortiert werden in eine durchaus bedrohliche Situation, an deren Anfang der Anschlag während des Neujahrsspringens steht, der gefolgt wird von allerlei Spekulationen.
Damit aber nicht genug, denn der beschauliche Kurort muss weitere lebensgefährliche Anschläge verkraften - oben, mitten in der herrlichen Bergwelt und unten im Tal. Und jedes Mal wird die voralpenländischen Seele bis in ihre Grundfesten erschüttert, so infam sind die vom Attentäter ausgedachten Aktionen.

Der Autor lässt dabei den modernen Alpentourismus in ganz neuem Licht erscheinen: Wandern und Rafting war gestern - heute übt man sich stattdessen im Nacktklettern, Steilwandpolo oder Military Gliding, am besten unter fachkundiger Anleitung einer speziellen Event-Agentur.

Alle Register werden gezogen, von atemberaubenden Bergabfahrten über rasante Verfolgungsjagden auf dem Friedhof bis hin zu einem spektakulären Doppelfinale.
Die Spannung ist oft kaum erträglich und die Bilder so plastisch, dass der Leser die Szenen förmlich vor sich sieht - vom Erfahrungsaustausch der Einheimischen in der hip eingerichteten Bäckerei Krusti mit ihrem breiten Spektrum an Themen-Backwaren (wie das Sex-and-the-Village-Laiberl oder die Barack-Obama-Semmel) bis hin zum beherzten Sprung des Feuerwehrhauptmanns Johann Mirgl junior durch ein geschlossenes Fenster.

Wenn Maurer mit leichter Hand seine Protagonisten durch die verzwickten Situationen führt, dann bleibt kein Auge trocken - ohne dass dadurch jedoch die Spannung leidet.
Selbst dort, wo er den Mord an einem Arzt beschreibt, der im Begriff ist, bei der Not OP eines angeschossenen Gangsters eine verzweifelte Maßnahme zu ergreifen, ist der ironische Plauderton nicht unangemessen, sondern im Gegenteil ein gelungenes Extra.
Brillant auch seine Vernehmungsprotokolle, bei denen in jedem Absatz das Bayerische so plastisch durchscheint, dass der Leser - egal ob in Flensburg oder Ebersberg - meint, direkt dabei gewesen zu sein (ein köstlicher Exkurs behandelt den Unterschied zwischen "Hausnamen" - also dem traditionellen Namen der Sippe - zu dem, wie man sich schreibt oder wer man ist ...).
Alles jedoch immer harmonisch eingebunden in den übergeordneten Zusammenhang eines Plots, der bei aller Skurrilität immer logisch ist.

Mit seinem zweiten Roman ist dem gebürtigen Garmisch-Partenkirchner ein großartiger Coup gelungen: Er hat die Atmosphäre seines erfolgreichen Erstlings "Föhnlage" (der ihm eine Nominierung für den renommierten Glauser-Preis in der Sparte "Debüt" eingetragen hat) beibehalten und dennoch alles komplett anders gemacht.
Ironisch überhöhte Beobachtungen des ganz normalen touristischen Wahnsinns, ergänzt durch zahlreiche Anspielungen auf Klassiker des Genres nebst dem, was der gemeine Tatort-Zuschauer für Standard-Prozedere in der Ermittlungsarbeit hält und auch aktuelle Themen wurden nicht ausgespart: Vom harten Geschäft der internationalen Großevent-Organisation bis hin zu den nicht minder erbarmungslosen Firmen-Motivations-Adventure-Trainings.
Jeder der Protagonisten hat seine ganz eigene Sprache - wohl dem, der sie sich vom Autor selbst vortragen lassen kann (und zwar am allerbesten auf einer Bühne, ergänzt durch sein virtuoses und einfallsreiches Klavierspiel - dabei hilft ein Blick auf die Rubrik "Live erleben" dieser Website).
Vor allem aber: Jede noch so komplizierte inhaltliche Arabeske wird sauber aufgelöst und selbst dort, wo sich eine Pointe an die andere anschließt, bleibt der Roman immer das, als was er angetreten ist:
Ein blitzsauberer Kriminalroman, bei dem die Polizeiarbeit einen wesentlichen Teil des Inhalts darstellt.
Und ein fast vierhundert Seiten langer Beweis für das köstliche Bonmot - das Maurer dem Vorsitzenden des "Skiverbandes Oberbayern" in den Mund legt:
Bergsteigen ist nicht Halma!

Das einzige Problem an dieser Stelle:
Wie wird er nur jemals diese "Hochsaison" toppen können?
Man darf gespannt sein - aus wohl unterrichteten Kreisen ist zu hören, dass der Meister sich auf jeden Fall dieser Herausforderung stellen wird ...
Bis dahin geben wir die Hoffnung nicht auf, dass jeder Kurgast irgendwann zusammen mit seiner Kurkarte ein Exemplar des aktuellsten Jörg-Maurer-Alpenkrimis überreicht bekommt.

Miss Sophie