Das Buch direkt bei Amazon bestellen Bernhard Jaumann
Die Stunde des Schakals

Kindler gebunden
ISBN 978-3-463-40569-8

Namibia im Januar:
Die Regenzeit will nicht kommen, das Land ächzt unter Hitze und Dürre. Im Windhuker Nobelviertel Ludwigsdorf tollen die Kinder auch abends noch im Pool.
Ein Mann, der seine Zitronenbäume wässert, wird über den Elektrozaun hinweg mit einer AK-47 erschossen.
Neunzehn Jahre nach der Ermordung des SWAPO-Anwalts Anton Lubowski beginnt so eine Attentatsserie, der nach und nach die damaligen Täter vom südafrikanischen Geheimdienst zum Opfer fallen.
Für die junge Windhuker Kriminalpolizistin Clemencia Garises werden die erbitterten Kämpfe aus der Endzeit der Apartheid lebendig, die sie bisher nur aus Erzählungen kannte.
Ihr Job ist es, einen Mörder zu finden und die rassistischen Täter von damals zu schützen. Ihr Gegenspieler ist ein Killer, der so schnell verschwindet, wie er aufgetaucht ist. Er tötet in einem namibischen Villenviertel und findet Zugang zu einem südafrikanischen Gefängnis, er schmuggelt seine AK-47 über die Grenze, er wartet unter einem Kameldornbaum in der Kalahari-Wüste geduldig auf sein nächstes Opfer.
Er ist todkrank, er ist allein, er mordet wieder.
Clemencia ahnt schnell, dass ein selbsternannter Racheengel eine alte Schuld begleichen will. Doch wer ist der Täter? Und warum schlägt er erst nach fast zwei Jahrzehnten zu?

Für diesen Roman erhielt Jaumann den Deutschen Krimipreis 2011 – 1. Platz Kategorie National.

Rezension:
Clemencia Garises ist nicht nur eine weibliche Kriminalinspektorin.
Die Kommissarin lebt auch - wie man es in ihrer namibischen Township so tut - mit einer Großfamilie zusammen, deren acht bis 12 komplett mittellosen Mitglieder sich von der Dreißigjährigen aushalten lassen und sich zum Dank gehörig in ihr Leben einmischen.
Dabei wollen alle nur ihr Bestes: Seien es nun die Tanten, von denen eine als Heilerin arbeitet, oder der kleinkriminelle Bruder, der in seiner Orientierungslosigkeit gern mal dem Alkohol zuspricht, sich aber im Zweifelsfall für die Familie vierteilen lassen würde.

Doch damit nicht genug:
Bei ihren Ermittlungen erfährt die engagierte Polizistin immer wieder Widerstände. Dieser Mangel an Respekt aus den eigenen Reihen aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Ausbildung, gekoppelt mit der Missachtung, die Clemencia von den Weißen entgegenschlägt, würde eine weniger engagierte und zähe Person schon nach Kurzem aus der Bahn werfen und davon abhalten, der Ermordung jener Männer auf den Grund zu gehen, die sich als Ex-Mitglieder des Geheimdienstes herausstellen.
In einer Kultur des "Auge-um-Auge..."-Prinzips hätten die überwiegend bereits reichlich betagten Herren den Tod sogar verdient, denn wie dem Leser schnell klar wird, konnte man sie nur durch Zufall - vielleicht aber auch aufgrund mächtiger Freunde... - des 20 Jahre zuvor durchgeführten Mordes an Anton Lubowski nicht überführen.

Doch die junge Frau mit ihrem "Master in Kriminalistik" kann und will nicht aufgeben - das Thema lässt sie nicht los; nicht zuletzt deswegen, weil ihre eigene Mutter mehr als zwei Dutzend Jahre zuvor bei einem Feuergefecht durch einen Querschläger getötet wurde.
Wie sie es während ihrer Zeit als Stipendiatin in Südafrika und beim sechsmonatigen Polizei-Praktikum in Finnland gelernt hat, bleibt die junge Frau am Ball und lässt sich weder durch Rassismus noch Inkompetenz der Kollegen beirren, tief in den Sumpf der "Special Forces" einzutauchen und den Grund zu finden, warum der Killer nun auf brutale Weise Rache nimmt.

Eine unkonventionelle Heldin, die Kosmopolit Jaumann (der zahlreiche seiner Romane bisher gerne und gekonnt in Italien spielen ließ) da geschaffen hat - vor allem aber eine Frau, die unter extrem erschwerten Bedingungen arbeiten muss.
Von CSI-Methoden kann man in ihrem Land nur träumen - die Kommissarin kann froh sein, wenn Stunden nach einem Mord überhaupt jemand kommt, um Spuren zu sichern. Selbst wenn bekannt ist, dass der Täter noch ganz in der Nähe sein muss.
Auch wird eine Leiche gern mal vom Tatort entfernt, noch bevor die Spezialisten einen Blick darauf geworfen haben, weil "das Unglück bringt" (und der oder die Tote sonst als Geist herumspuken könnte).

Aber der mehrfach preisgekrönte Autor beschränkt sich beileibe nicht auf eine Schilderung der Polizeiarbeit in einem exotischen Land, das dem europäischen Leser so völlig fremd erscheinen muss, sondern sein Roman geht zurück auf eine reale Geschichte.

Im Zentrum: SWAPO-Anwalt Anton Lubowski, der sich 1984 als erster Weißer öffentlich auf die Seite der Freiheitskämpfer schlug, sie beriet und verteidigte und fünf Jahre lang bei jeder Gelegenheit deutlich machte, dass es auch hellhäutige Menschen gab, die die Apartheid nicht unterstützten.
Seinen gewaltsamen Tod durch Erschießen am 12. September 1989 und die in der gerichtlichen Voruntersuchung von 1994 dafür als verantwortlich bezichtigten CCB-Agenten Donald Acheson, Chappies Maree, Slang van Zyl, Staal Burger und Ferdi Barnard gab es wirklich.

Alles andere - vor allem natürlich die Morde in "Die Stunde des Schakals" - ist ein Produkt der Fantasie des Autors, teilweise sicher auch das Ergebnis seiner intensiven Recherche in alten Unterlagen und Fakten rund um die historischen Begebenheiten.
Tatsächlich "aufklären" konnte er den Fall Lubowski nicht, obwohl Jaumann, der nach Stationen in Italien, Australien und Mexiko-Stadt seinen Lebensmittelpunkt nach Windhoek/Namibia verlegt hat, dazu sicher gern beigetragen hätte.

Was jedoch durch diesen zu Recht mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnete Thriller, der die Vergangenheit auf beispiellose Weise lebendig werden lässt, auf jeden Fall erreicht wird: Man spricht über und erinnert sich an einen tapferen Mann, der für seine Überzeugungen sterben musste, kurz bevor sich das ereignete, was er sich genauso stark wie seine schwarzen Mitbürger gewünscht hatte: Die Unabhängigkeit Namibias im März 1990.

Miss Sophie