Das Buch direkt bei Amazon bestellen Peter Probst
Personenschaden

(2. Band Anton Schwarz)
dtv TB
ISBN 978-3-423-21264-9

Nachdem Lokführer Klaus Engler einen jungen Mann überfahren hat, wird er von schweren Schuldgefühlen geplagt.
Seit einiger Zeit fühlt er sich von Unbekannten verfolgt und bedroht. Privatermittler Anton Schwarz wird von Engler beauftragt, die Unbekannten zu finden.
Doch bereits kurz nachdem Schwarz den Auftrag übernommen hat, springt ein weiterer Selbstmörder vor Englers Zug. Zufall?

Die Spuren führen Anton Schwarz zu einem Mann, der von Hass auf den Lokführer erfüllt ist - und eine grausame Rache inszeniert:
In einem Suizidforum im Internet sucht er sich ein williges Opfer, das bereit ist, sich vor einen Zug zu werfen.

Rezension:
Schuldgefühle sind Scheiße.

Schwarz hat sie und der Lokführer sowieso.

Dabei war beiden gar nichts anderes übrig geblieben, als ihren Job zu machen - Ex-Hauptkommissar Anton Schwarz, indem er einen gefährlichen Mann, den Fast-Attentäter Tim Burger, bis auf die Bahngleise verfolgte, Klaus Engler, der im Cockpit seines Güterzuges vergeblich die Notbremsung einleitete.

Unterm Strich gab es nur Verlierer:
Der junge Neonazi fand den Tod, die Ehe des Lokführers ist durch den Vorfall ausgesprochen belastet, Privatdetektiv Schwarz leidet seitdem unter Alpträumen.

Doch das ist nur der Anfang.
Denn als Eisenbahner Engler gerade beginnt, Hoffnung zu schöpfen, weil die Therapie offensichtlich langsam greift, erhält er Drohungen und wird verfolgt.
Schwarz soll für ihn herausfinden, wer dem Unglücksfahrer Böses will.
Ist es die Szene der Rechtsradikalen, die Burger als Märtyrer sehen?
Und was haben die Mitglieder jener Internet-Community damit zu tun, die sich mit Melancholie, Selbstverletzung, Suizid in der Literatur, vor allem aber echter Selbsttötung beschäftigt?

Kaum hat Schwarz, der noch damit beschäftigt ist, den (temporären) Einzug seiner Mutter in seine, nach drei Jahren "Ehe auf Abstand" mit Fug und Recht Junggesellenbude zu nennende, Wohnung zu verkraften, erste Ergebnisse, überstürzen sich die Ereignisse: Wieder landet einer vor Englers Lok und die Katastrophe ist nicht mehr aufzuhalten...

Auch der zweite Roman um den Ex-Polizisten Schwarz, der sich in der Mitte seines Lebens noch einmal komplett neu orientiert - beruflich wie privat - paart auf äußerst gelungene Weise einen spannenden und im wahrsten Sinne originellen, also nicht bereits tausendmal gelesenen Plot mit einer Charakterstudie von zahlreichen, höchst unterschiedlichen Figuren.

Die Protagonisten, die Probst in seinem mit 240 Seiten wohltuend gestrafften Roman aufmarschieren lässt, sind dabei so vielschichtig und zwiespältig wie im echten Leben.

Zunächst ist da natürlich Anton Schwarz, ein Fünfzigjähriger, der seiner Ehe hinterhertrauert, aber gleichzeitig den endgültigen Absprung immer wieder hinauszögert, indem er sich heimlich mit seiner Ex zu einem Quickie zwischendurch trifft, wenn ihr aktueller Lebensgefährte gerade nicht da ist und dabei ein uns andere Mal hofft, alles könne sich wieder einrenken.
Er ist ein Mann, der mit "ehrlicher Hässlichkeit" wie er sie in Form der sanierten 50er Jahre Bauten tagtäglich entlang der alten Landsberger Str. zu sehen bekommt, viel besser leben und umgehen kann als mit den Glaspalästen der Versicherungen.

Kein Wunder also, dass sein Zugang zur bodenständigen Welt der Eisenbahner, die an vorderster Front tätig sind, im Gleisbau oder im Führerstand, ein ganz anderer ist als zu den redegewandten Hochglanz-Managern der Bahn-AG.
Dabei begegnet er Vertretern beider Typen - zu allem Überfluss noch innerhalb einer einzigen Familie, in der vom Großvater bis zum Enkel alle für dasselbe Unternehmen arbeiten bzw. gearbeitet haben, allerdings in höchst unterschiedlicher Funktion, die sich auch auf die Gesamthaltung auswirkt. Dort der alte Gewerkschaftler - hier der Unternehmenssprecher.

Alt und neu - Vergangenheit und Gegenwart - wirkliche Werte und leere Worthülsen - vor allem aber eine aktive Auseinandersetzung mit eigenen Versäumnissen im Kontrast zur Aufrechterhaltung des Scheins, Ehrlichkeit gegen Gewinnmaximierung, persönliche Bereicherung oder einfach nur Prestige ... das sind die großen Themen dieses Romans.

Fast harmonisch fügt sich hier auch die Vergangenheit von Schwarzens Mutter ein, die ihre jüdische Vergangenheit verleugnete, aus Gründen, die lange im Dunkel verborgen lagen und erst so nach und nach ans Tageslicht kommen.
Wie sie tauchen auch andere Figuren aus dem ersten Band auf und machen aus einem guten, einen ganz ausgezeichneten Kriminalroman.

Dabei gelingt es Probst, seiner Erzählung - ohne sie ihrer Tiefe zu berauben - durch kleine ironische Wendungen und sympathisch skurrile Situationen, immer wieder eine Leichtigkeit zu verleihen, die ihr gut zu Gesicht steht.

Und so entlässt der Autor am Ende seine Leser mit einer zart angedeuteten Liebesgeschichte und der Hoffnung, dass es noch ganz viele Geschichten rund um diesen Anton Schwarz geben wird, den Privatdetektiv aus Leidenschaft, der sich seine Brötchen als Wachmann beim Honorarkonsulat eines karibischen Kleinstaats verdient und unterm Strich viel mehr Freunde hat, als er selbst glaubt.

Miss Sophie