Das Buch direkt bei Amazon bestellen Nele Neuhaus
Böser Wolf

(6. Band Bodenstein/Kirchhoff)
Ullstein gebunden
ISBN 978-3-550-08016-6

An einem heißen Tag im Juli wird die Leiche einer 16-Jährigen aus dem Main bei Eddersheim geborgen. Sie wurde misshandelt und ermordet, und niemand vermisst sie. Auch nach Wochen hat das K 11 keinen Hinweis auf ihre Identität.
Die Spuren führen zu einem Kinderdorf im Taunus und zu einer Fernsehmoderatorin, die bei ihren Recherchen den falschen Leuten zu nahe gekommen ist.
Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein graben tiefer und stoßen inmitten gepflegter Bürgerlichkeit auf einen Abgrund an Bösartigkeit und Brutalität.
Und dann wird der Fall persönlich.

Rezension:
Frank Behnke war noch nie ein „Lieblingskollege“ des Teams aus dem K 11. Seine persönlichen Probleme brachten ihn dazu, fast zu verwahrlosen …

Auch der Mann, der seit sieben Jahren in einem Wohnwagen zu Hause ist, sich von Flaschenpfand und Schwarzarbeit ernährt, ist als Vorbestrafter nicht wirklich ganz oben in der Gesellschaftshierarchie zu Hause. Und doch war es offenbar nicht immer so, denn er steht anderen Gestrandeten in Rechtsfragen zur Seite.

Zunächst scheint es keinen gemeinsamen Nenner zwischen diesen Personen zu geben … bis klar wird, dass Behnke nach seiner Suspendierung keinesfalls von der Bildfläche der Polizei verschwunden ist, sondern im Gegenteil als intriganter interner Ermittler wieder zurückkehrt. Während Kilian, der Mann vom Campingplatz, aufgrund eines mysteriösen Todesfalls ins Visier der Ermittler gerät.

Parallel dazu erfährt Hanna Herzmann, die skrupellose Moderatorin einer Krawallshow, wie gefährlich es sein kann, für die Quote gehörig im Dreck wühlen zu wollen. Sie plant den ganz großen Coup und ahnt nicht, dass sie sich damit unmittelbar in Lebensgefahr bringt.

Und schließlich gibt es noch die Familie von Pias alter Schulfreundin Emma, die – hochschwanger – mit ihrer fünfjährigen Tochter bei den Schwiegereltern wohnt, während ihr Mann in den Diensten von „Doctors Worldwide“ unterwegs ist.

Ganz unterschiedlich sind diese verschiedenen Lebenskreise – und doch laufen alle Fäden irgendwann in der Regionalen Kriminalinspektion Hofheim zusammen. Zunächst scheint es, als ob vor allem gekränkte Eitelkeiten und Rachsucht im Mittelpunkt stünden. Man misstraut sich – auch unter den Polizisten, wo der eine oder die andere sein eigenes Süppchen kocht.

Dem Leser allerdings wird schnell klar, dass noch etwas ganz anderes dahintersteckt – düsterer, als die schlimmsten Phantasien es sich ausmalen könnten. Um Pädophilie geht es, und um ihre Opfer. Im Mittelpunkt steht zunächst ein kleines Mädchen, dem das Schlimmste angetan wird, was man sich vorstellen kann: Nicht nur wird es gequält und missbraucht, sondern es wird ihm das Heiligste genommen, was es gibt, nämlich der Schutzraum der Familie, das Vertrauen in die Menschen. Kein Wunder, dass ein solches Kind – wenn es denn nicht sofort zerbricht – schwere seelische Störungen entwickelt.

Doch bis Bodenstein und Kirchhoff alle Zusammenhänge erkennen, das komplizierte Geflecht durchdringen, in dem die Kinderschänder agieren, vergeht einige Zeit. Zu viel Zeit für manche der Beteiligten, denn bei einem Opfer bleibt es nicht …

Das Thema ist düster, sehr düster – obwohl es Autorin Neuhaus trefflich gelingt, auf eine detaillierte Schilderung sämtlicher Scheußlichkeiten zu verzichten und bei ihrer Leserschaft dennoch, nur mit Hilfe von Andeutungen, abgrundtiefes Grauen zu erzeugen. Man möchte weinen mit dem Kind, das vergeblich versucht, einer ausweglosen Situation zu entfliehen und sich dabei niemandem anvertrauen kann, weil ihm keiner glaubt.

Und während unterschiedliche Figuren sich als Hobbydetektive versuchen, dabei schwer in die Bredouille, wenn nicht sogar mehr als einmal in Todesgefahr geraten – oder sogar ums Leben kommen -, wächst die Spannung immer mehr ins Unerträgliche.

Neuhaus spielt mit ihren Fans, wie sie es so gut vermag, indem sie auch die Lieblingsfiguren immer wieder in große Gefahr bringt, sie von den Gespenstern der Vergangenheit verfolgen lässt, ihnen in der Gegenwart bedrohliche Situationen in den Weg legt. Manchmal löst sie die Situation auf, überrascht mit einer fast humorvollen Action-Volte, andere Male stürzt sie Protagonisten und Leserschaft in tiefste Verzweiflung, lässt sie radikale Verluste erleben, schreckt vor Blut und Tränen nicht zurück.

Noch nie hat Nele Neuhaus es sich oder den Lesern leicht gemacht, immer wieder hat die Erfolgsautorin heiße Eisen angepackt, aktuelle Themen aufgegriffen oder Historisches wieder ins Bewusstsein der Welt zurückgerufen. Meist jedoch hat sie dabei eine ausgewogene Mischung walten lassen zwischen erfreulich „normalen“ Alltagsbanalitäten, spritzigen Wortwechseln, erholsamen Exkursen in die Gefühlswelt ihrer Figuren und dem, was den finsteren Polizeialltag notgedrungen ausmacht.

„Böser Wolf“ ist anders. Schwärzer. Tragischer. Da gibt es weniger „Erholung“ für den Leser, da jagen sich die Katastrophen Schlag auf Schlag.

Aber nur so und nicht anders kann man sich diesem Thema nähern. Einem Thema, dem man einfach keinen heiteren Nebenstrang zur Seite stellen kann.

Gegen Ende gibt es zwar immer wieder Grund zur Hoffnung – Menschen, die die Umstände lange getrennt haben, treten wieder in Dialog, manche Unklarheit wird beseitigt, Schuldige und Strippenzieher entlarvt. Dennoch bleibt ein Gefühl der Beklemmung – vor allem weil klar ist, dass die Geschichte als solche kein pures Produkt der Fantasie einer begabten Autorin ist, sondern so oder ähnlich hätte passiert sein können, vielleicht sogar passiert ist...

Das macht dieses Buch so besonders. Weil es die Leserinnen und Leser bis ins Mark trifft. Und gleichzeitig den Wunsch wach werden lässt, noch mehr, viel mehr zu lesen, von dieser Polizeitruppe, die mitten im Leben steht, Höhen und Tiefen erlebt, als Team durch die Hölle und zurück geht, sich aber trotzdem nicht beirren lässt und weitermacht. Für ihre Überzeugung einsteht und sich dem korrekten Weg der Gerechtigkeit verschrieben hat. Meistens jedenfalls.

Also, Frau Neuhaus: Schreiben Sie weiter!

Miss Sophie