Das Buch direkt bei Amazon bestellen Elisabeth Herrmann
Das Dorf der Mörder

(1. Band Sanela Beara)
Goldmann gebunden
ISBN 978-3-442-31325-9

Ein grausamer Mord ereignet sich im Berliner Tierpark.
Eine der Ersten, die am Tatort eintrifft, ist die junge Streifenpolizistin Sanela Beara: ehrgeizig, voller Tatendrang und entschlossen, dem Fall auch gegen den Willen ihres Vorgesetzten auf den Grund zu gehen.
Denn die Schuldige ist schnell gefasst – zu schnell, wie Sanela glaubt. Während der Öffentlichkeit die geständige Mörderin Charlie Rubin präsentiert wird, hat Beara Zweifel.
Zweifel, die auch den Psychologen Jeremy Saaler plagen, der ein Gutachten über Charlies Zurechnungsfähigkeit erstellen soll. Unabhängig voneinander haben beide den gleichen Verdacht:
Der Mord im Tierpark hängt mit Charlies Kindheit in einem kleinen Dorf in Brandenburg zusammen. Ein dunkles, mörderisches Rätsel lockt sie nach Wendisch Bruch – direkt ins Visier eines Gegners, der die Totenruhe im Dorf um jeden Preis bewahren will ...

Rezension:
Unheilvolle Szenen zu Beginn sind ihre Spezialität – doch damit nicht genug.

Der Begebenheit, über die nichts enthüllt wird, außer dass Geruch und Geräusch des Todes dominieren, folgt die Entdeckung eines auf grauenvolle Weise zu Tode gekommenen Opfers.
Bei lebendigem Leibe von Schweinen zerstückelt – das wünscht man so schnell niemandem.
Die angebliche Täterin allerdings gibt manchen Menschen Rätsel auf. Nicht unbedingt dem von sich überzeugten leitenden Beamten. Vielleicht auch nicht dem mit dem psychiatrischen Gutachten betrauten Professor. Aber einer kleinen Streifenbeamtin mit Migrationshintergrund und dem immer etwas unsicheren Assistenten des renommierten Gutachters.

Beharrlich verbeißt sich die junge Kroatin Sanela Beara in einen Fall, der sie entweder jede Chance auf Aufstieg kosten oder ihr Anerkennung und den Durchbruch bringen könnte.
Die Dinge verkomplizieren sich, als der Nachwuchs-Psychiater Jeremy Saaler auf sehr persönliche Art und Weise in den Fall hineingezogen wird, indem er erst der Frau, die er eigentlich weder mag, noch näher kennenlernen möchte, in einer Extremsituation beisteht, die das bisherige Beziehungsgeflecht auflöst, und sich dann auch noch verliebt.

Dann kommt es zum Eklat, der überraschenden Wendung, mit der die Leser nicht rechnen, nicht rechnen können.
Was beide Protagonisten – Sanela und Jeremy – unabhängig voneinander dazu bringt, Berlin zu verlassen, um in einem kleinen, nahezu verlassenen Dorf in Brandenburg Antworten auf nie gestellte Fragen zu finden und dabei, wie könnte es anders sein, in Lebensgefahr zu geraten...

Elisabeth Herrmann schreibt nie immer nur eine Geschichte.
Auch dieses Buch bildet keine Ausnahme.
Die Ermittlungen in einem bizarren Mordfall, die Suche nach dem Motiv und den Hintergründen für eine unvorstellbare Tat …, das ist nur ein, wenn auch der wesentlichste, Aspekt des Romans.
Daneben gibt es noch die Vater-Sohn-Problematik, die Geschichte des jungen Mannes, der sich endlich frei machen muss von dem, was andere von ihm erwarten. Im Gegensatz zu ihm, der mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde und dem praktisch alle Möglichkeiten offen stehen, muss das ehemalige Flüchtlingskind Sanela um alles kämpfen. Ob Respekt von den Kollegen oder Anerkennung vom Chef für ihre Eigeninitiative, nichts bekommt sie geschenkt, sondern läuft im Gegenteil immer wieder gegen Mauern.
Dass sie nicht aufgibt, sich trotz aller Rückschläge nicht beirren lässt, alles riskiert – das ist mutig, manchmal sehr leichtsinnig, fast dumm, sorgt aber in jedem Fall dafür, dass diese Frau, die selbst auf eine schwierige Vergangenheit zurückblickt, alsbald einen Platz im Herzen der Leser findet.

Doch Herrmann wäre nicht Herrmann, wenn sie nicht außerdem eine gesamtgesellschaftliche Ebene in ihre starke Geschichte einfügte.
Denn diese verlassenen Orte im Osten der Republik hat sie sich ja nicht ausgedacht. Die gibt es wirklich. Die Autorin hat sie besucht. Hat sich mit vielen Entwicklungen der letzten Jahre beschäftigt. Das merkt man an allem, was sie schreibt. Und an dem, was sie nicht schreibt.

Vieles in diesem Buch wird gar nicht ausgesprochen – weil es nicht nötig ist, weil das, was unterschwellig mitschwingt, ausreicht.
Halbsätze, die auf traumatische Kindheitserlebnisse hinweisen.
Hier jemand an einem Fenster, dort ein Schatten … wodurch die Spannung bald zum Dauerzustand wird, und das, obwohl sich auf den ersten 300 der rund 450 Seiten keine spektakulären Verfolgungsjagden abspielen, kein Entkommen in letzter Minute die Erwartungen des routinierten Thriller-Lesers erfüllen.
Was er stattdessen bekommt sind Menschen, die sich an einem scheinbar glasklaren Fall festbeißen und wider alle Vernunft ermitteln, nachfragen, den Dingen auf den Grund gehen wollen, herausfinden, was viele Jahre zuvor passiert ist.
Alles kippt und ändert sich – mehrfach.
Am Ende machen die schauerlich gefährlichen Situationen alles wett, was Psychologie und genaue Recherche in den ersten beiden Dritteln an Action ersetzt haben.

Der Schluss ist ein völlig unerwarteter Knaller, zum Weinen schön.
Das, aber nur das, darf man jetzt einfach so verraten über einen herausragenden Roman, der einen vielversprechenden Auftakt für das noch ganz frische Lesejahr 2013 bildet.

Übrigens: Wie es mit einer möglichen Verfilmung aussieht und was es zur Entstehungsgeschichte alles zu wissen gibt, lesen Sie im Interview mit Elisabeth Herrmann.

Miss Sophie