Das Buch direkt bei Amazon bestellen Elisabeth Herrmann
Versunkene Gräber

Goldmann Broschur
(4. Band Joachim Vernau)
ISBN 978-3-442-47995-5

Fünf Jahre sind vergangen, seit Anwalt Joachim Vernau den Drahtziehern eines Mordkomplotts das Handwerk gelegt hat. Auch die gemeinsame Kanzlei mit seiner Ex-Partnerin Marie-Luise ist längst Geschichte.
Bis ihn ein Hilferuf aus Polen erreicht: Jazek, der gemeinsame Freund aus längst vergangen Tagen und durchzechten Nächten, sitzt mit einer Mordanklage im Gefängnis und beteuert seine Unschuld.
Gemeinsam mit Marie-Luise reist Vernau nach Landsberg an der Warthe. Versunkene Gräber auf einem alten Friedhof sind die erste Spur.
Verlorene Briefe und vergessenes Leid ziehen Vernau immer weiter hinein in den Strudel der Ereignisse des Jahres 1946. Flucht und Vertreibung, Ende und Neuanfang – damals kreuzten sich die Schicksale von Tätern und Opfern, und Entsetzliches geschah.
Doch erst Generationen später steigt das Grauen noch einmal aus dem Grab, und wer sich ihm entgegenstellt, muss sterben.

Rezension:
Die lieb gewonnene, alte Truppe ist komplett in alle Winde zerstreut, samt Kevin, Mutter und „Hüthchen“, bis eine rätselhafte Nachfrage sie zum Nachdenken, die anderen suchen und schließlich zu neuer Zusammenarbeit bringt.

Die Beschäftigung mit diesem Fall bringt ein Eintauchen mitten in die letzten, verzweifelten Monate vor dem Ende des Krieges 1945.
Es geht um Flucht und Verfolgung – und um die verzweifelte Situation desillusionierter Deserteure. Männer, die man trotz körperlicher Einschränkungen noch eingezogen hat, und für die das Wort „Ehre“ noch zählt.
Und um Familie, von der die Trennung so entsetzlich schwer fällt.

Dieses Thema zieht sich durch den kompletten Roman. Sei es, die „echte“, durch das Blut bestimmte oder die so wertvolle Wahlverwandtschaft.
So gibt es die einen, die ihre Angehörigen verleugnen, sich per Zufall oder mit Absicht untereinander nie kennengelernt haben.
Andere hingegen gäben alles, um bei Eltern, Gatten, Kindern bleiben zu können – und müssen sie doch verlassen, um den Lebensunterhalt zu sichern, und dabei nehmen was kommt. Egal, ob es sich um Pflegepersonal oder „studierte“ Frauen (und manchmal Männer) handelt.
Verständlich, wenn dann jemand aufgrund der eigenen prekären Finanzlage der Versuchung erliegt und etwas Illegales tut.

Aber mit einem Diebstahl ist es ja noch lange nicht getan, plötzlich geht es um Mord. Marie-Luise leidet unter Amnesie – kein Wunder, hat sie doch Schreckliches erlebt, wurde verfolgt, sah dem Tod ins Auge …
Klar, dass sie da Freunde und Verbündete braucht – Menschen, denen sie trauen kann und die IHR trauen.

Beim Lesen wird schnell klar: Marie-Luise hat nicht getan, was man ihr vorwirft.
Jacek ebensowenig – also … wahrscheinlich … wiewohl er mit Sicherheit etwas zu verstecken hat. Man muss ihn einfach mögen, diesen unwiderstehlichen Frauenhelden – wäre er nur nicht gar so eklig zu seiner überaus sympathischen, gewitzten, polnischen Anwältin …

Arme und Reiche bevölkern diesen Roman, der nicht nur absolut spannender Krimi ist, sondern ebenso Familiensaga und wertvolle Lektion in Gegenwartsgeschichte. Es geht um „Heimat“, um Regelungen, die nach dem Krieg erfolgten und nicht immer gerecht waren, und um ein kostbares Vermächtnis. Mittendrin ein verwirrter alter Mann, der gegen die Gespenster der Vergangenheit kämpft, und diverse Großindustrielle, die meinen, mit Geld alles kaufen zu können.

Die Handlung ist angemessen komplex – hat man sich an die beiden Zeitebenen gewöhnt, findet sich alles nach und nach logisch zusammen.
Dialoge voller Sprachwitz und skurrile Situationen wechseln sich ab mit atemberaubenden Szenen – die Verfolgungsjagd quer über den Friedhof empfiehlt sich definitiv bei Tageslicht zu lesen …
Die Figuren sind wie immer großartig, nicht nur Vernau (der künftig bei allen Fans der Reihe das Gesicht von Jan Josef Liefers haben wird), Marie-Luise und Jacek – Mutter und Hüthchen stellen als kriminalistisches Erfolgsduo im Altersheim Miss Marple definitiv in den Schatten.
Und schließlich ist die Beschreibung der polnischen Orte so detailgetreu und schön, dass man sofort hinfahren möchte.

Bleibt nur, ungeduldig auf die Verfilmung zu warten – oder sich in der Zwischenzeit intensiv mit der zweiten Reihe Elisabeth Herrmanns zu beschäftigen, in der mit „Das Dorf der Mörder“ und „Der Schneegänger“ immerhin bereits zwei ausgesprochen lesenswerte Titel rund um die Ausnahmepolizistin Sanela Beara vorliegen.

Miss Sophie