Das Buch direkt bei Amazon bestellen Minette Walters Charlotte Breuer Norbert Möllemann
Der Keller

Psychothriller
Original: The Cellar
Deutsch von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann
Goldmann TB
ISBN: 978-3-442-48432-4

Munas Leben ist die Hölle. Und niemand kommt ihr zu Hilfe, denn keiner weiß, dass die Familie Songolis ihr Hausmädchen behandelt wie eine Sklavin.
Dabei muss sie sich nicht nur Tag für Tag bis zur Erschöpfung um das Wohl der Songolis kümmern, sondern wird auch noch jede Nacht in einen dunklen, fensterlosen Keller gesperrt.
Doch dann kehrt eines Tages der jüngste Sohn der Familie aus unerklärlichen Gründen nicht mehr nach Hause zurück.
Damit die ermittelnden Polizeibeamten nichts von Munas Schicksal erfahren, darf sie ihren Keller verlassen. Und diese Chance nutzt sie auch. Denn Muna ist sehr viel klüger, als alle ahnen – und ihre Pläne sind sehr viel schockierender, als irgendjemand jemals vermuten würde ...

Rezension:
„Munas Schicksal wendete sich an dem Tag zum Guten, als Mr. Und Mrs. Songolis jüngerer Sohn nicht aus der Schule nach Hause kam.“
Was verstörend klingt – denn immerhin impliziert diese Aussage die Entführung oder Schlimmeres eines Zehnjährigen – wandelt sich noch im Verlauf der ersten Seiten zum Grauen schlechthin: Der fassungslose Leser erfährt nämlich, dass das junge Mädchen, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, Muna, bis zu diesem Tag die Hölle auf Erden erlebt hat. Offenbar wurde sie als Achtjährige aus einem nicht näher genannten Waisenhaus in Afrika mit falschen Papieren entführt und seitdem von der Familie, die mit ihr nur Haussa spricht, wie eine Sklavin gehalten. Tagsüber musste die 14-jährige arbeiten wie ein Tier, die Nächte verbrachte sie im finsteren, fensterlosen Keller, wo sie regelmäßig dem Hausherrn in ganz spezieller Weise zu Diensten sein musste. Die lüsternen Blicke des aktuell 13-jährigen, älteren Sohnes der Familie lassen überdies darauf schließen, dass es dabei in nicht allzu ferner Zukunft nicht bleiben wird.
Doch dann ist es tatsächlich das Verschwinden des kleinen Abiola, das Munas Leben urplötzlich auf den Kopf stellt. Denn nun kommt die Polizei ins Spiel, die Ermittlungen anstellt. Vor diesen Beamten – allen voran „die Weiße in Hosen mit den klugen Augen“ - gilt es, die Anwesenheit dieses kleinen, dünnen Teenagermädchens zu rechtfertigen, das sich schon rein optisch vom Rest der üppigen, um nicht zu sagen, fettleibigen Familie abhebt. Man gibt sie daher als geistig behinderte Erstgeborene aus, die zu Hause unterrichtet wird und kein Englisch spricht.
Tatsächlich wissen weder Mr. noch Mrs. Songoli und erst recht nicht ihre Söhne, dass die Kreatur, die sie seit gut sechs Jahren komplett vor der Welt verstecken und die noch keinen Schritt nach draußen gemacht hat, sehr wohl Englisch versteht und spricht. Wenn sie auch bisher nur heimlich, nachts, in ihrem stockdunklen Verlies die Worte „Bitte helfen Sie mir!“ in der fremden Sprache geübt hat. Ihre komplette Bildung hat Muna durch heimliches Lauschen an Wänden und Türen erworben – entweder, wenn der Fernseher lief, oder während der Anwesenheit des Nachhilfelehrers der in der Tat tumben, echten Nachkommenschaft. Doch sie kennt nur die Bedeutung der Sätze, Humor oder Ironie sind ihr gänzlich fremd. Genauso wie ein natürliches Lächeln. Alles, was ihr Leben bisher bestimmt hat, waren Schläge, Tritte und Begehrlichkeiten.
Das hat nun ein Ende. Zunächst bringen sich die Songolis – allesamt unbeherrschte Lügner mit sexistischem Verhalten – durch ihre Wutausbrüche und ausfälligen Bemerkungen gegenüber der zuständigen Beamtin selbst in Schwierigkeiten. Muna muss nur noch ein klein wenig nachhelfen, dann gewinnt sie die Oberhand. Bei Befragungen verdreht sie die Wahrheit und spricht, als er zudringlich wird, Sohn Olubayo gegenüber eine unverhüllte Drohung aus. Plötzlich sind es ihre Peiniger, die Angst haben vor dem, was auf sie zukommen könnte.
In der Tat passiert nun einiges an Unheil – ein schwerer Unfall wird gefolgt von Krankheit und möglichen finanziellen Schwierigkeiten. Doch je schlimmer die Lage für die Familie wird, desto mehr blüht Muna auf – plötzlich scheint alles möglich …
Es ist eine bitterböse Geschichte, die Minette Walters da ihren Lesern zumutet. Das wirklich Geniale (oder doch Perfide?) daran ist jedoch das, was während der Lektüre in eben diesen Lesern passiert: Im selben Maß wie sie anfangs einfach nur unglaublich wütend sind auf die Täter und ihr abgrundtief gemeines Verhalten einem anfangs so vertrauensseligen, kleinen Kind gegenüber, weiden sie sich im Verlauf der Handlung daran, wie Muna ihre Widersacher austrickst und ihrerseits quält. Jedes Mitgefühl ist verschwunden – bei der Protagonistin ebenso wie beim Leser. Walters entlarvt alle und bringt das Schlechteste in jedem zum Vorschein.
Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – ist es ein absolut großartiges Buch, auf dessen 220 Seiten das Atmen schon mal vergessen werden kann und das hinterher zum Nachdenken und Diskutieren einlädt.

Miss Sophie