Das Buch direkt bei Amazon bestellen Ursula Poznanski
Thalamus

Loewe Klappenbroschur
ISBN 978-3-7855-8614-3
(ab 14 Jahre)

Ein schwerer Motorradunfall katapultiert den siebzehnjährigen Timo aus seinem normalen Leben und fesselt ihn für Monate ans Krankenbett.
Auf dem Markwaldhof, einem Rehabilitationszentrum, soll er sich von seinen Knochenbrüchen und dem Schädelhirntrauma erholen. Aber schnell stellt Timo fest, dass sich merkwürdige Dinge im Haus abspielen: Der Junge, mit dem er sich das Zimmer teilt, gilt als Wachkomapatient und hoffnungsloser Fall, doch nachts läuft er herum, spricht – und droht Timo damit, ihn zu töten, falls er anderen davon erzählt.
Eine Sorge, die unbegründet ist, denn Timos Sprachzentrum ist schwer beeinträchtigt, seine Feinmotorik erlaubt ihm noch nicht niederzuschreiben, was er erlebt.
Und allmählich entdeckt er an sich selbst Fähigkeiten, die neu sind. Er kann Dinge, die er nicht können dürfte. Weiß von Sachen, die er nicht wissen sollte … 

Rezension:
Was für eine unglaublich beschissene Situation!

Auf der Fahrt zur Freundin verunglückt, ist Timo jetzt in einem Körper gefangen, der ihm zunächst kaum gehorcht. Das Schlimmste dabei ist allerdings weder die Lähmung der Beine noch die wenig ausgeprägte Koordination der Hände, sondern die Unfähigkeit, sich zu artikulieren.

Dieses Handicap nimmt er mit in die Reha, wo er auf Magnus trifft („das Gemüse mit Hoffnung“) und auf Carl mit „C“, der mit Timo teilt, dass man ihm nach einem Unfall zur Entlastung den Schädel geöffnet hat. Das verbindet. Wie auch das Alter. Denn die beiden sind ebenso jung wie ein Gutteil der anderen Bewohner in der Klinik „Markwaldhof“, in der Rollstühle zum Alltagsbild gehören. Manche der Menschen, die dort nach einem Klinikaufenthalt wieder zu Kräften kommen sollen, sind mit dem Auto oder dem Motorrad verunglückt, andere beim Skifahren, Turmspringen oder Freeclimben. Es gibt Patienten mit Tumoren und solche, die nach dem Ertrinken wiederbelebt wurden.

Zu Timos Glück nimmt ihn Carl gleich unter seine Fittiche und führt ihn in eine Gemeinschaft ein, die ein wenig an den „Club der roten Bänder“ erinnert – also eine Gruppe von Jugendlichen, die mit schwersten Grunderkrankungen zu kämpfen haben, aber dennoch ihren Humor nicht verlieren und auch schon mal unerlaubte Dinge an Orten tun, an denen sie sich eigentlich gar nicht aufhalten sollen. Das sorgt für eine heitere Gelassenheit auf den ersten Seiten trotz der schlimmen Schicksale hinter jeder einzelnen Diagnose.

Doch dann wendet sich das Blatt, denn Timo hat mitten in der Nacht eine durch und durch unheimliche Begegnung. Ausgerechnet sein Zimmergenosse mit den blonden Locken und dem Schlangentattoo am Unterarm stößt eindeutige Drohungen aus. In diesem Zusammenhang gibt es aber zwei Probleme: Offiziell handelt es sich bei dem Typen um einen Wachkomapatienten, der tagsüber nach wie vor beinahe regungslos im Bett liegt – und Timo kann mit niemandem über das Erlebte reden, denn nach wie vor ist sein Sprachzentrum gestört!

Wie unglaublich doppelt schlimm das sein muss, lässt sich kaum ermessen, wenn einem keine Beeinträchtigung das Leben schwer macht!
Und natürlich stellt sich die Frage: War alles vielleicht nur ein böser Traum? Oder handelt es sich bei Magnus tatsächlich um einen unerkannten Simulanten? Aber was will er damit bezwecken? Welche Absichten könnte er in Wirklichkeit haben? Was wissen die behandelnden Ärzte?

Schnell wird klar: Hier geht etwas nicht mit rechten Dingen zu. Nachts ist nichts mehr, wie es scheint. Es finden konspirative Treffen statt.
Besonders bitter: Auch auf den ersten Blick sympathische Mitpatient_innen sind offenbar Mitglieder eines Geheimbundes.

Timo ist verstört, die Lesenden auch.

Doch damit nicht genug: Auf einmal hört der Jugendliche Stimmen, kann Dinge, die er sich nie hätte träumen lassen, verfügt über Wissen, das er sich nicht in der Schule angeeignet hat, besitzt besondere Fähigkeiten, von denen er keine Ahnung hat, woher sie stammen. Allerdings nicht dauernd – all das kommt und geht. Auch bei seinen Freunden sind Veränderungen erkennbar und nicht immer sind diese zum Vorteil – weder für die jungen Menschen selbst noch für ihre Umgebung.

Die Spannung an dieser Stelle steigt immer mehr, denn es gibt keine wirklich zielführenden Erklärungen, nur vage Ahnungen.

Schnell wird allerdings klar, dass es um einen Wettlauf gegen die Zeit geht – Timo muss nicht nur entschlüsseln, wie alles zusammenhängt, sondern auch, was seine Rolle in dem Ganzen ist. Offenbar scheint er der Einzige zu sein, der an dieser Stelle noch gegensteuern und den Tod zahlreicher Menschen verhindern kann. Dazu muss er sich entsprechende Maßnahmen überlegen, die er natürlich nicht alleine durchführen kann.
Ständig steht die Frage im Raum: Wer ist mit im Boot? Wer ist gut, wer ist böse?

Und draußen tobt der Sturm …

Wieder einmal ist es Ursula Poznanski gelungen, einen durch und durch spannenden Roman zu schaffen, der sich an der Aktualität orientiert – diesmal, ohne zu viel zu verraten, an Entwicklungen im Bereich der Hirnforschung. Manches Szenario, das die frühere Medizinjournalistin entwirft, ist dabei, wie sie im Nachwort schreibt, Produkt ihrer Fantasie, was aber noch lange nicht heißt, dass die Technologien der Zukunft nicht vieles davon (und noch mehr) möglich machen werden.

Dabei besteht die Kunst der Bestsellerautorin vor allem darin, ihre Protagonisten nahbar zu machen, sie mit Schwächen und Widersprüchen auszustatten, ihnen aber dennoch ihre Grundhaltung zu lassen, die genau so ist, wie im echten Leben bei jungen Menschen. Mal cool und maximal gechillt, schwarzhumorig in ausweglos scheinenden Situationen, dann wieder völlig irrational, sensibel und überreagierend.

Allerdings werden diese Protagonisten in Lebensumstände katapultiert, die alles andere als gewöhnlich sind. So ist es einerseits ihre ganz persönliche Biografie, die sie veranlasst, dies zu tun und jenes zu lassen, andererseits die Notwendigkeit, auf die speziellen Umstände nicht nur zu reagieren, sondern sich allen Schwierigkeiten zum Trotz das Heft nicht aus der Hand nehmen zu lassen.

Die Fans kennen das aus den anderen Romanen der Wienerin – immer wieder müssen ihre Heldinnen und Helden verzweifelte Entscheidungen treffen, die ihnen alles abverlangen. Dabei im Extremfall zum Wohle der Sache ihr eigenes Leben und das ihrer Kameraden aufs Spiel setzen oder sogar opfern.

Dieses Mal kommt ein zusätzlicher Aspekt hinzu, der im Buch zwar angerissen, aber nicht abschließend geklärt wird, sich nach der Lektüre aber als hervorragende Diskussionsgrundlage eignet: Ist im Namen des Fortschritts alles erlaubt, was technologisch machbar ist, nur weil es geht?
Wer sollte hier ein Mitspracherecht haben?
Wie unterschiedlich lassen sich die Dinge bewerten, abhängig davon, ob man ein neutraler Beobachter, ein beteiligter Experte oder eine unmittelbar von den Entwicklungen profitierende Person ist?

Ein Roman, der sicherlich sowohl unterhält als auch zum Nachdenken anregt – und sich schon nach der ersten Seite nicht mehr aus der Hand legen lässt.

Miss Sophie