Seine Bücher sind nichts für zarte Gemüter, was also muss dieser Veit Etzold für ein Typ sein?
Ein finsterer Zeitgenosse mit unheimlichem Blick?
Mitnichten – ganz im Gegenteil!
Chefredakteurin Michaela Pelz traf auf der Frankfurter Buchmesse einen Gentleman, wie er im Buche steht. Sympathisch, zuvorkommend, höflich und mit warmem, vertrauenerweckendem Lächeln.
Da kann ja nichts mehr schiefgehen, also geht es gleich mitten hinein ins Interview:
Zum Auftakt ein paar kurze Fragen. Was fällt Ihnen zu folgenden Stichworten zuerst ein oder was mögen Sie in diesem Bereich am liebsten:
Autor?
H. P. Lovecraft
Also nicht Shakespeare?
(lacht und ergänzt): Auch!
TV-Sendung?
Homeland.
Gemälde?
(muss erst kurz überlegen) „Eingang von Karthago“ von Claude Lorrain
„Der Schrei“ gehört also nicht zu Ihren Lieblingsbildern?
Nein, der ist mir zu abstrakt. Ich finde die klassischen Sachen zugänglicher.
Folterinstrument?
Mag ich prinzipiell nicht – nur weil man darüber schreibt, bedeutet das nicht, dass man so etwas gut heißt. (denkt nach, dann fällt ihm doch etwas ein und er ruft aus) PENDEL!
Das Pendel bei Edgar Allan Poe, das sich so langsam immer weiter nach unten senkt. Das finde ich sehr perfide. Aber ich bin keiner, der sagt „oh, toll, ich mag Folterinstrumente“, weil das, was sie tun, natürlich grundsätzlich nicht in Ordnung ist.
Wenn Sie Mediziner wären, für welche Disziplin hätten Sie sich entschieden?
Vielleicht sogar auch die Rechtsmedizin.
Welches Fachbuch ist Ihnen das liebste?
Im Bereich, in dem ich auch schreibe, ist das „Mind Hunter“ von John Douglas, FBI.
Schließlich noch eine ganz gemeine Frage – und dann sind wir auch schon durch: Was könnte SIE zu einem Mord motivieren?
Wenn jemand jemand umbringt, der mir selbst sehr nahe steht. Was ich auch grundsätzlich überhaupt bei allen Leuten für sehr realistisch halte. Ich glaube, jeder kann zum Mörder werden, wenn die Bedingungen stimmen.
Ihr Ermittlerteam ist in der „Abteilung für Forensik und Pathopsychologie“ direkt im LKA untergebracht. Gibt es so etwas wirklich?
Grob heißt es ja „Mordkommission 113“. Diese hat drei Abteilungen, einmal die Abteilung für Pathopsychologie von Clara Vidalis, dann die Abteilung für Operative Fallanalyse, geleitet von Martin Friedrich alias „MacDeath“ und angehängt ist das Institut für Rechtsmedizin, d.h. die Forensik.
Das gibt es in dieser Konstellation so nicht. Aber es gibt natürlich die Mordkommissionen. Eine davon heißt wohl sogar 113 und befasst sich auch mit schweren Fällen, ist aber nicht genauso strukturiert.
Wen es aber wirklich gab, ist der von Ihnen häufig zitierte Robert Ressler, der FBI-Profiler …
Richtig! Das ist ein Kollege von dem besagten John Douglas.
Haben Sie ihn je getroffen (er starb ja 2013)?
Ich habe ihn 2012 angeschrieben und auch hinterher telefoniert, aber leider keine Antwort erhalten.
Er war sozusagen der zweite Mann beim Aufbau der Abteilung für Verhaltensforschung (BAU) im FBI – Nummer Eins war Douglas. Ich habe viele Videos von ihm gesehen und natürlich seine Bücher (auf englisch) gelesen.
A propos Bücher … Eine Ihrer Figuren hat ein Buch geschrieben – „Präventive Physiognomie des Verbrechens“ – das es offenbar (noch) nicht gibt.
Stimmt, das gibt es nicht, das hat Kriminaldirektor Winterfeld geschrieben. Diese „präventive Physiognomie“ beweist, dass man die Intention am Gesicht ablesen kann. Da gibt es in der Tat Theorien, die ziemlich oft stimmen. Das heißt dann, okay, bei gewissen Gesichtern ist die Verbrechensquote höher als bei anderen. Ich will das jetzt nicht kommentieren und will nicht sagen, das ist so – aber betrachtet man die Fakten, scheint etwas Wahres dran zu sein.
Wäre das eine Herausforderung für den Autor Veit Etzold, ein solches Buch über dieses Thema zu schreiben?
Eine Herausforderung schon, weil man da sehr viel recherchieren müsste – spannend fände ich es in jedem Fall. Würde sicherlich auch stark provozieren … aber ich könnte es mir gut vorstellen, ein solches Sachbuch zu verfassen, dann müsste sich nur noch jemand finden, der es druckt … ;-)
Vielleicht könnten Sie es ja unter Pseudonym herausbringen – ähnlich der Figur aus der TV-Serie „Castle“, deren (fiktive) Romane mittlerweile ihren Weg in die Regale der Buchhändler gefunden haben … – das heißt, der Autor wäre tatsächlich Herr Winterfeld …
(lacht) Sie bringen mich da auf eine Idee … ;-)
Zurück zu den bereits existierenden Büchern, in denen es ja immer wirklich „heftig“ zugeht: Inwieweit lassen Sie sich bei Ihren Mordmethoden von „echten“ Gräueltaten inspirieren? Sammeln Sie, was in der Presse erscheint? Oder denken Sie sich etwas aus?
Beides. Einerseits ist natürlich die Realität leider immer noch grausiger als jeder Thriller, das ist das Traurige. Zudem inspiriert sie mich natürlich, wenn man sich einmal anschaut, was so alles in der Welt passiert. Gleichzeitig muss man als Thriller-Autor auch so ein bisschen paranoid sein, also immer und überall das Schlimmste erwarten. Da kommt es dann schon vor, dass die Realität mir teilweise Inspiration liefert für Dinge, die ich dann umsetze. Also schriftlich umsetze, nicht richtig …
Den „umgekehrten Fall“ gibt es aber auch – wie etwa bei „Final Cut“, wo der Killer seine Opfer digital am Leben erhält. Obwohl sie eigentlich tot sind, glaubt jeder, die leben noch, weil sie weiterhin bei Facebook posten. Einen solchen Fall gab es, circa ein Dreiviertel Jahr nach Erscheinen von „Final Cut“ in Berlin dann wirklich. Nicht ganz so perfide und nicht ganz so brillant konzipiert, wie der Killer es bei „Final Cut“ tut, denn die Polizei kam ihm ziemlich schnell auf die Schliche, weil der Typ in einem anderen Duktus geschrieben hat als seine toten Opfer.
Aber in solchen Fällen bin ich immer wieder überrascht, wie die Realität auch die schrägsten Ideen einholt.
Nimmt man beispielsweise „Seelenangst“, wo es um Satanskulte geht: Alles, was da so steht, habe ich sowohl von Experten über Satanismus als auch von Aussteigern aus diesen Kulten genau so gehört. Dass oft Leute damit bestraft werden, dass ihre Kinder getötet werden – die Babys werden dann vergraben und sie müssen alle paar Wochen in die Leiche ihres eigenen Kindes hinein beißen…
Ehrlich gesagt, war das der Moment bei der Lektüre, als ich mich gefragt habe, ob ich jemanden, der so etwas schreibt, wirklich treffen will … ;-)
Das ist aber offenbar Praxis und etwas, das ich – unabhängig voneinander – von verschiedenen Leuten, die mit Satanskulten zu tun haben, gehört habe.
Und um nochmal über etwas anderes zu sprechen – bei „Todeswächter“, meinem aktuellen Buch, geht es ja um das Versagen der Gerichte und um die Tatsache, dass je schlimmer das Verbrechen in Deutschland, desto geringer die Strafe. Das höre ich von meiner Frau tagtäglich, die ja Rechtsmedizinerin ist und vor Gericht aussagt. Ich glaube, man kann ohne zu sehr verallgemeinernd zu sein, sagen, dass Steuerhinterziehung in Deutschland etwas Schlimmeres ist als Mord und auch als Mord an Kindern. Und dass man als Falschparker viel größere Chancen hat, erwischt zu werden, als als Mörder.
Drei Sachen sind illegal: falsch parken, Steuern hinterziehen und GEZ-Gebühren nicht bezahlen. Mord ist relativ moderat bestraft. Das muss man einfach so sagen, das sieht man auch in jeder Statistik leider so. Und „der Tod ist ein Meister aus Deutschland“, das bewahrheitet sich in dieser Form mal wieder. Das ist eine Art von unschöne Inspiration, ist aber leider so.
Wenn Sie solche Dinge recherchieren, wie schlafen Sie dann nachts? Plagen Sie Alpträume – wie Ihre Heldin?
Richtig, die hat zu Beginn von „Todeswächter“ tatsächlich welche. Das geht eigentlich bei mir. Interessanterweise bin ich jemand, der ganz selten Alpträume hat. Ich träume eher so konfusen Kram. Es gibt ja Leute, die träumen, dass sie verfolgt werden oder ertrinken – das habe ich ganz selten; vielleicht erinnere ich mich auch nicht daran. An was ich mich erinnere, das sind Situationen, in denen ich vielleicht auch irgendwie in Gefahr bin, aber eher so, dass ich noch irgendetwas machen muss, das ganz eilig ist.
Letztens habe ich geträumt, dass ich noch so eine blöde Prüfung vorbereiten muss – dabei studiere ich gar nicht mehr! (lacht) Aber im Traum ist das ja völlig plausibel: „Dafür musst du auch noch lernen, das musst du alles noch machen“. Das habe ich dann mehrfach hintereinander geträumt.
Alpträume, die mit meinen Thrillern zu tun haben, habe ich keine.
Was schon mal vorkommt – deswegen habe ich zu Beginn H.P. Lovecraft erwähnt – sind solche Dinge wie der folgende Traum: Ich war auf einem Campingplatz und in der Nähe befanden sich seltsame Opferstätten. Abends sah man dort immer komische Lichter. Als wir am nächsten Tag genau diesen Platz aufsuchten, war alles voll Blut und Knochen.
Da denkt man sich dann schon: Würde man das in Wirklichkeit so erwarten? Eher nicht, oder? Das ist zwar alles so ein bisschen gothic-artig, hat aber mit meinem eigenen Leben nichts zu tun.
Vielleicht ist es auch so, dass, der Schreibvorgang so eine Art Katharsis – Seelenreinigung – ist. Soll heißen, dass das Ganze gar nicht so unbedingt in Alpträume mündet, sondern verschwindet, sobald man es auf diese Weise kanalisiert hat.
So sehe ich Thriller auch. Sie beschreiben ganz schreckliche Dinge, am Ende gibt es aber ein Happy End, eine Art Reinigung von Emotionen, beim Leser, aber auch beim Autor.
Val McDermid sagte mir einmal bei einem Interview, dass ihre ganz persönliche Form der Psychohygiene darin besteht, dass sie Menschen, über die sie sich im Alltag geärgert hat, in ihren Büchern ermordet …
Genau, es kommt halt raus. Es ist dann draußen – Träume sind unverarbeitete Sachen, die nicht zu Ende erledigt sind. Aber beim Schreiben sind sie dann ja im Buch erledigt. Deswegen glaube ich schon, dass es so ist.
Was ist dann zuerst da: Die Todesart oder die Handlung?
Unterschiedlich. Meist schon die Handlung. Begegnet mir aber eine ganz „tolle“ (blöder Begriff, aber das trifft es ja) Todesart, dann liefert mir diese den Aufhänger.
Bei „Seelenangst“ war das so, als in dieser nicht so schönen Szene der Drache das Kind der Frau verspeist. Da hatte ich vorher die Bibelstelle gelesen, in der tatsächlich steht: „… und der Drache trat vor die Frau, die gebären sollte, auf dass, wenn sie geboren hätte, er ihr Kind fräße…“ (A.d.R.: Offenbarung 12,4), wo ich dachte, herrje, das ist aber wirklich krass, wenn das mal einer wörtlich nehmen würde, so ein satanistischer Killer … Eigentlich ist aus diesem Bibelvers die Idee zu „Seelenangst“ entstanden und dieser eine Mord stand da ganz klar im Vordergrund. Daran habe ich den Plot orientiert.
Wie arbeiten Sie generell, wenn Sie ein Buch schreiben?
Schon so, dass zuerst die grobe Story feststeht. Ein Thriller lebt ja davon, dass er die Leser packen und auch auf falsche Fährten führen soll; und dass unterschiedliche Perspektiven (also bei mir jedenfalls) von Täter, Opfer, Ermittler und dergleichen vorkommen. Da ist es dann immer ganz hilfreich, das zu Beginn auch schon ein bisschen zu strukturieren, ähnlich wie ein Story-Board beim Film und dieses Gerüst dann mit Leben zu füllen.
Bei meinem allerersten Thriller „Das große Tier“ habe ich erst einmal losgeschrieben. Das hat mir zwar Spaß gemacht, aber dann merkte ich: Oh je, die Sachen sind unlogisch und das passt ja nicht. Dann fragte ich den Lektor, ob er mal drübergucken kann. Am Ende war es extrem viel Arbeit, alles umzuschreiben.
Das kann man sich alles sparen, wenn man die Struktur von vornherein hat. Kein Thema, es ist eine harte Scheißarbeit, die ganze Struktur vorher zu wissen und durchzukonzipieren, aber es zeigt einem natürlich sofort, wo es noch hakt oder besser werden muss und was gut ist …
Teilweise ist es auch einfach eine ganz ökonomische Frage: Will ich meinen Thriller xmal umschreiben oder will ich, dass der erste Entwurf so ist, dass ich gut damit weiterarbeiten kann?
A propos „ökonomische Frage“: Was antworten Sie, wenn jemand Ihren Beruf wissen will?
Autor und Berater.
Kommt mein Gesprächspartner hingegen aus dem angelsächsischen Sprachraum, dann sage ich „Storyteller“. Die verstehen das auch. Denn auf der einen Seite erzähle ich ja Geschichten für den Massenmarkt, auf der anderen Seite helfe ich aber auch anderen Leuten dabei, ihre eigenen Geschichten zu erzählen, um sich besser positionieren zu können. Grade Unternehmen oder Manager.
Aber wie geht das zusammen? Was hat der Rachefeldzug eines wahnsinnigen Religionsführers mit der Einführung einer neuen Methode in der Automobilindustrie gemeinsam? Denn das ist ja eine der großen Herausforderungen, Storytelling auch in solche technischen Bereiche zu bringen und das tun Sie ja …
Das ist richtig. Eine Botschaft ist dann spannend, wenn sie die Struktur einer Story hat. Die meisten, gerade Unternehmen, kommunizieren aber nicht so, dass sie eine Geschichte erzählen, sondern sie verbreiten Fakten, was stinklangweilig ist. Darum hört auch keiner zu.
Eine gute Story hat immer eine Situation, eine Komplikation und am Ende eine Lösung und ein Happy End. Oder einen Helden, einen Schurken, einen Wendepunkt und dann ein Happy End.
Eine gute Kampagne für ein Auto oder was auch immer, muss eigentlich auch dieser Struktur folgen – es muss immer irgend ein greifbarer Held da sein, nicht nur etwas Abstraktes wie die Firma, und am Ende muss es eine Bedrohung geben – „Lieber Kunde, was passiert dir wohl, wenn du das Produkt nicht kaufst … was entgeht dir dann?!“
Dabei geht es nicht einmal um Panikmache, aber es muss ein Handlungsdruck da sein, eine gewisse Dringlichkeit. Zumal ein Happy End erst dann ein Happy End ist, wenn etwas Böses überwunden wurde.
Viele Unternehmen kommunizieren so, als ob alles rosarot wäre und ganz toll: „Wir gingen nach China und alles war schön … dies haben wir geschafft und jenes …“ Das ist völlig unglaubwürdig.
Eine Story ist erst dann interessant, wenn es auch Wendepunkte gibt, wenn es Höhen und Tiefen gibt. Genau das versuche ich, den Leuten zu erzählen: Warum lest ihr einen tollen Thriller bis drei Uhr morgens? Doch nur deswegen, weil es da auch gefährliche Situationen gibt.
Ihr hingegen kommuniziert immer ohne irgendwelche Downsides und wundert euch, dass es alle langweilig finden. Könnte da nicht ein Zusammenhang sein? Die Antwort ist meist: „Ja, aber wir können doch nicht irgendwas Negatives sagen?!“ Darauf sage ich: „Das müsst ihr auch nicht, aber ihr könntet ein wenig Dramaturgie erschaffen, indem die Dinge zunächst schlechter und dann besser werden. Durch euch natürlich.“ Das wird in Deutschland sehr wenig gemacht, da ist also noch großer Beratungsbedarf.
Ihre Figur des MacDeath, schockiert ja gern auch mal auf Parties die anderen Gäste, indem er aus dem Nähkästchen plaudert … macht Ihre Frau das auch schon mal?
Ich glaube Frauen und Männer sind da wieder unterschiedlich. Sie tut das weniger – auf Nachfrage schon, aber eben wirklich nur auf Nachfrage.
Der Chef meiner Frau, Michael Tsokos, Leiter der Rechtsmedizin in Berlin, mit dem ich ja auch einmal ein True-Crime-Buch geschrieben habe – „Dem Tod auf der Spur“ – der macht das eher mal, hat aber dann wiederum von seiner Frau Gesprächsverbot, z.B. am Abendbrottisch.
Das ist so eine Männer-Frauen-Sache, Männer sind da trampeliger … Andererseits: Meine Frau kann das auch sehr gut, also wenn sie will, kann sie jedem sofort den Appetit verderben … Aber das macht sie nicht vorsätzlich! (lacht)
Dann jetzt die letzte Frage: Was steht an, was kommt als nächstes, worauf wollen Sie hinweisen, was möchten Sie gern noch loswerden?
Als nächstes erscheint natürlich der vierte Teil von Clara Vidalis (wie gehabt bei Bastei-Lübbe) im kommenden August und es wird 2016 einen Politthriller geben, der bei Droemer-Knaur erscheint. Es geht dabei um globale Rohstoffgeschäfte, Waffen, aufstrebende Märkte, Staatskapitalismus, China, Russland, Afrika … also der ganze Cocktail einer sich bewegenden Welt des 21. Jahrhunderts.
DANKE FÜR DIESES GESPRÄCH!
Mit dem äußerst geduldigen und ausgesprochen zuvorkommenden Autor traf sich Chefredakteurin Michaela Pelz während der Buchmesse in Frankfurt, Oktober 2014