Das Buch direkt bei Amazon bestellen Lisa Graf-Riemann Ottmar Neuburger
Hirschgulasch

Emons Broschur
ISBN 978-3-89705-960-3

Die drei Kiewer Luba, Marjana und Wiktor erben eine Schatzkarte aus dem Zweiten Weltkrieg – aber der Schatz ist nicht in der Ukraine, sondern in Berchtesgaden vergraben.
Um ihre Abenteuerreise nach Oberbayern zu finanzieren, lassen sich die drei als Falschgeldkuriere anheuern. Weil sie den Erlös aus einem Blütendeal nicht ordnungsgemäß abliefern, setzt die geprellte ukrainische Mafia einen Berufskiller auf sie an.
Aber nicht nur das: Nach dem tödlichen Absturz eines russischen Höhlenkletterers sind dem Trio auch die Schönauer Kommissarin Magdalena Morgenroth und ihr Kollege vom LKA München auf der Spur.
Da gibt es einen zweiten Todessturz: im Sinkwerk des Berchtesgadener Salzbergwerks …

Rezension:
Luba ist unerschrocken und wild: Sie fürchtet weder Tod noch Teufel, selbst das nicht, was unsichtbar die Menschen krank macht, dort in der verstrahlten Zone um Tschernobyl.
Jahrelang fährt sie mit ihrem Motorrad dorthin, um das, was geschehen ist, hinterher im Netz zu dokumentieren, um die wenigen verbliebenen Menschen zu unterstützen, indem sie ihnen Medikamente bringt und auch um ein bisschen Geld zu machen mit dem Weiterverkauf dessen, was sie dort findet.

Auch Wiktor braucht die Kohle. Helipilot war er, im Einsatz direkt über dem geschmolzenen Reaktor, um dort durch den Abwurf von Blei, Sand und Tonerde das Unglück einzudämmen. Sein Lohn bei der Ausmusterung: Ein paar Rubel, eine Urkunde - und die Strahlenkrankheit.
Nun schlachtet er verseuchte Lastwagen und Hubschrauber aus, um den Schrott zu verkaufen.

Eine Schatzkarte, das Vermächtnis eines alten Bauern mitten in der Zone, macht die beiden zu Verbündeten - und bildet den Auftakt für eine ebenso ungewöhnliche wie rasante Story, deren Anfang in einer anderen Zeit, in einem anderen Leben liegt.
Im Juni 1943 nämlich, als russische Zwangsarbeiter in süddeutschen Bergwerken arbeiten müssen, um dort Nazi-Schätze zu verbergen.
Praktisch alle anderen sind tot - er aber hat das Erschießungskommando und eine Lawine überlebt, konnte zurückkehren in seine Heimat, von wo aus er viele Jahren später sein Recht auf Entschädigung geltend machen konnte.

Das wiederum bringt Marjana auf den Plan. Promovierte Historikerin, um die 50. Auch sie will ein Stück vom Kuchen. Endlich noch etwas von der Welt sehen.

So nimmt eines der verrücktesten Roadmovies der letzten Zeit seinen Lauf.
Im Zentrum: Drei Amateure, die auf Umwegen als Falschgeldkuriere nach Deutschland reisen, um hier ihr Glück zu machen, sich aber direkt mit der russischen Unterwelt anlegen, weil sie sich an der ihnen anvertrauten Ware bedienen.

Auch auf deutscher Seite sind es eher Underdog-Helden, die den Schauplatz bevölkern.
Nach einem tödlichen Absturz schon im ersten Kapitel betritt die Bühne eine ebenfalls nicht mehr ganz junge Kommissarin, die kurz davor steht, sich als Sennerin eine einjährige Auszeit zu nehmen. Enttäuscht vom Leben, den Männern, dem eigenen Sohn, der die Schule kurz vor dem Abitur abgebrochen und sich mit knapp 18 Jahren davongemacht hat. Als "Highliner", einer, der auf dünnen Seilen über Abgründe wandelt, verdient er sich seitdem überall auf der Welt sein Geld.

Immer wieder springt die Handlung zwischen den deutschen Einsatzkräften und den ukrainischen Glücksrittern.
Ganz großes Kino ist es, wie diese mit ihrer heißen Ware nach Deutschland reisen. Eine Fast-Panne reiht sich an die nächste - nur unterbrochen von diversen Versuchen, sich gegenseitig übers Ohr zu hauen.
Das titelgebende "Hirschgulasch", das keine und keiner von ihnen jemals gegessen hat, ist dabei Synonym für alles bisher nie Gekannte, Unerreichte, Erstrebenswerte. Allein schon der Klang bedeutet Verheißung und das, wohin sie wollen.

Schließlich erreichen sie tatsächlich ihr Ziel - vor einer malerischen und majestätischen Bergkulisse, deren Beschreibung allein schon den Leserinnen und Lesern die Sehnsucht ins Flachlandherz treibt.
Zwerchfellerschütternd und rührend zugleich genießen die drei Ukrainer ihren Aufenthalt im besten Haus am Platz, während sie von allen Seiten gejagt werden bis es am Ende zu einer spektakulären Verfolgungsjagd durch das Bergwerk kommt.

Doch Humor und Spannung sind längst nicht alles, was diesen Roman ausmacht.
Denn auch die Beschreibungen der Zustände während und nach dem Zweiten Weltkrieg bekommen ihren Raum:
Das Schicksal der nach Deutschland verschleppten Arbeiter, die Heimkehr nach dem Krieg in ein zerstörtes Leben, die Verwandten verschollen, verschleppt.
Und wenn Marjana als Historikerin in einem Vortrag auf dem Obersalzberg die Geschichte der Zwangsarbeit lebendig werden lässt, die Gedanken und Gefühle jener Menschen in den Jahren "danach", ihr ambivalentes Verhältnis zu Deutschland und den Deutschen, dann steht nicht nur den fiktiven Zuhörern das Wasser in den Augen, so plastisch wird das Los jener geschildert, die man so oft, ZU oft!, vergessen und erst in letzter Zeit wieder ins Bewusstsein der Welt zurückgeholt hat.

Dieser Spagat ist grandios und es ist absolut fantastisch, wie es dem Autorenduo gelingt, eine spannende Gangsterkomödie mit ernstem Hintergrund zu schaffen, ohne moralinsauer zu werden.
Dazu noch grandiose Bilder - wer da nicht sofort an Verfilmung denkt, dem ist nicht mehr zu helfen!

Miss Sophie