Das Buch direkt bei Amazon bestellen Henning Mankell Wolfgang Butt
Vor dem Frost

Original: Innan frosten
Deutsch von Wolfgang Butt
Zsolnay gebunden
ISBN 3-552-05219-4

Ein Kalb wird bei lebendigem Leib verbrannt, und sechs brennende Schwäne sind über dem Marebo-See gesehen worden.
Frauen verschwinden, eine Amerikanerin wird in der Kirche erdrosselt, und ein Lastwagen voll Dynamit lässt den Dom von Lund in Flammen aufgehen.
Linda ist Polizeianwärterin in Ystad und darf Kurt Wallander bei seinen Ermittlungen zunächst nur als Tochter begleiten.
Dann aber wird sie persönlich in den Fall hineingezogen:...

Rezension:
"Schrecklich spannend, vertraut und doch neu" - so könnte man in einem Satz zusammenfassen, was der Rezensentin als erstes unmittelbar nach der Lektüre des neuen "Mankell" durch den Kopf ging.
Durch die Einführung neuer Figuren (wie schon in "Die Rückkehr des Tanzlehrers, mit dessen Protagonisten es ein Wiedersehen gibt) schafft es der schwedische Krimi-König, seinen Romanen eine neue Dimension hinzuzufügen, ohne dabei Abstriche bei der Qualität zu machen.
Ganz verzichten müssen die Wallander-Fans aber natürlich nicht auf die etwas düstere und depressive Grund-Note, denn auch Linda, die Tochter des Kommissars, die hier erstmalig aus dem Schatten früherer Nebenhandlungen tritt, hat ihre dunklen Seiten und Geheimnisse.
Abgesehen davon ist die junge Frau jedoch wesentlich kraftvoller und dynamischer als ihr Vater - was natürlich auch in ihrem Lebensalter und ihrer beruflichen Unerfahrenheit begründet liegt, denn viele von Wallanders Befindlichkeiten rühren ja unter anderem daher, dass er vom Leben gezeichnet ist und ihn die Erfahrungen und Bilder der Vergangenheit so kaputt und müde machen.
Trotzdem ist es gerade diese Erfahrung, die den Vater Wallander erkennen lässt, dass seine hartnäckige, aufmerksame, intelligente Tochter das Zeug dazu hat, eine verdammt gute Polizistin zu werden, was eine ganz neue Komponente in das Verhältnis der beiden untereinander hineinbringt: Weg vom Patriarchen und hin zu einer (zumindest teilweise) fast kollegialen, gleichberechtigten Zusammenarbeit.
Die ist auch bitter nötig in diesem zunächst ausgesprochen undurchsichtigen Fall, in den Linda, noch gar nicht offiziell im Amt, zunächst zufällig und als außenstehende Beobachterin verwickelt wird. Denn als sich zeigt, dass sie einige der Beteiligten kennt, wird ihre aktive Mithilfe immens wichtig, um das Schlimmste zu verhindern.
Wobei "das Schlimmste" - zumindest in der Planung - von Ausmaßen ausgeht, die sich ein gesunder Verstand gar nicht vorstellen kann. Oder zumindest vor dem 11. September 2001 nicht vorstellen konnte …
Der offensichtlich zutiefst gestörte Anführer einer Gruppe, die vor nichts zurückschreckt, um ihre (hehren) Ziele durchzusetzen, das ist die zentrale Figur in einem Geschehen, das sich am Ende zum klassischen Wettlauf gegen die Zeit zuspitzt.
Ein Bösewicht (ob seiner Taten) wie er im Buche steht - und doch ein armer Teufel (ob seiner Vergangenheit und Erfahrungen), mit dem man fast Mitleid haben möchte, obwohl seine Moralvorstellungen so völlig verdreht sind.
Es ist die kontinuierliche Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Generationen und unterschiedlichen Wertesystemen. die einem bereits aufgrund des Plots atemberaubenden Roman eine weitere entscheidende Dimension verleiht. Hinzu kommt, dass sich das Thema "Tod" in vielfältigster Weise durch das gesamte Buch zieht und somit die Gewissheit der sich anbahnende Katastrophe in den Augen des erwartungsvollen Lesers noch verstärkt.
Natürlich gibt es nach einem aufregenden Showdown dann doch ein eingermaßen "verträgliches" Ende, das aber sicherlich nicht "happy" und so offen ist, dass eine wie auch immer geartete Fortsetzung durchaus denkbar scheint.
Und so ist es Henning Mankell, der sich auch mit diesem Roman bereits vor Erscheinen aufgrund der Vorbestellungen an die Spitze der Verkaufscharts katapultiert hat, wieder einmal gelungen, mit leichter Hand eine schwere Geschichte zu erzählen, die nachdenklich macht und auch eine gewisse Annäherung an das Thema "11. September 2001" darstellt.

Pille