Das Buch direkt bei Amazon bestellen Gianrico Carofiglio Claudia Schmitt
In freiem Fall

Original: Ad Occhi Chiusi
(2. Band Guido Guerrieri)
Aus dem Italienischen von Claudia Schmitt
Goldmann gebunden
ISBN 978-3-442-31133-0

Verzweifelt sucht Martina Fumai nach einem Anwalt. Doch niemand will sie vor Gericht vertreten. Denn der Mann, der Martina heimlich verfolgt und misshandelt, ist der Sohn eines gefürchteten Richters. Niemand in Bari würde es wagen, sich gegen ihn zu stellen. Niemand – bis auf einen.
Avvocato Guido Guerrieri ist sofort bereit, Martina zu helfen. Nicht zuletzt deshalb, weil er von der jungen Frau fasziniert ist, die ihn in Martinas Namen um Hilfe bittet: Gekleidet in Jeans und schwarze Lederjacke stellt sie sich ihm als „Schwester Claudia“ vor.
Von nun an begleitet die jedem Klischee widersprechende Nonne den Anwalt bei seinen Ermittlungen. Und Guido Guerrieri findet nach und nach nicht nur heraus, wie er gegen Martinas psychopathischen Exfreund vorgehen muss, sondern auch, welches Geheimnis die rätselhafte Claudia umgibt.

Rezension:
Das Rauchen hat er drangegeben – man kann verstehen, dass der Mann ständig ein bisschen unter Strom steht.
Die Freundin wohnt im gleichen Haus – so ordentlich wie er unordentlich ist (war also wohl nicht die schlechteste Idee, die eigene Wohnung beizubehalten).
Eine Menge legaler Dinge würde er gerne tun, traut sich aber nicht (zum Beispiel Fallschirmspringen) – und zu allem Überfluss hat er nun auch angefangen, Steuern zu zahlen (was ein Anwalt wie Guido Guerrieri, dessen Klientel zum Großteil aus Kleinkriminellen besteht, diesen gegenüber mit einem Vorwand rechtfertigen muss).
Alles in allem ist das Leben des Protagonisten aus Bari zum Zeitpunkt, als er ein neues Mandat kriegen soll, nicht wirklich spektakulär.
Doch als die sexy Nonne und in ihrem Schlepptau die junge Martina auftauchen, wird alles anders.
Natürlich sind die Schwierigkeiten in Anbetracht der beteiligten Personen schon vorprogrammiert, von allen Seiten werden der Staatsanwaltschaft, der Nebenklägerin und vor allem deren Anwalt Steine in den Weg gelegt. Ein, wie es scheint, ebenso abgebrühter wie parteiischer Richter bildet dabei nur noch das Tüpfelchen auf dem „i“. Doch wie sich die ganze Angelegenheit nach und nach entwickeln, welchen Einfluss die Sache auf sein Privatleben nehmen und welche konkreten Gefahren für Leib und Leben diese Verhandlung mit sich bringen würde, das hätte sich der Vierzigjährige in seinen schlimmsten Alpträumen nicht ausmalen können.
Das ist Hochspannung pur!
Und abgrundtief traurig, wenn Autor Carofiglio den Werdegang von ungesunden Beziehungen, von psychischem und physischem Missbrauch aufzeichnet, und durch die detaillierten Schilderungen traumatischer Kindheitserlebnisse beim Leser fast körperlich spürbare Emotionen hervorruft. Wie er es sicherlich auch bei seiner täglichen Arbeit mit seinen Plädoyers tut, weckt der Anti-Mafia-Staatsanwalt Wut auf den Peiniger eines so jungen und verletzlichen Wesens und grenzenloses Mitgefühl mit einer weiteren völlig gebrochenen Seele.
Man möchte laut schreien an manchen Stellen – und manchmal auch ein kleines bisschen weinen, aber das dann vor Rührung, wenn es um die Liebe geht, die trotz alledem und alledem hier nicht zu kurz kommt.
Darüber hinaus ist Carofiglio noch witziger, noch lakonischer, noch pointierter in seinen Beobachtungen und Beschreibungen als im Vorgängerband. Wenn er seinen Protagonisten auf den ersten Seiten beispielsweise bei einer völlig abgefahrenen Szeneparty die druidische Astrologie erfinden lässt, um so eine New Age Anhängerin zu beeindrucken, dann muss sich der Leser die eigenen Gesichtszüge schon sehr unter Kontrolle haben, so er seine Lektüre denn in der Öffentlichkeit pflegt.
Alles in allem bietet dieser Roman eine Fülle von gehaltvollen Leckerbissen – alte Freundschaften, neue Lieben, stabile Seilschaften, unerwartete Hilfestellungen, brutale Gewalt, korrumpierte Beamte und eine Gerichtsverhandlung mit Überraschungseffekt … das ist wie eine Tüte Gummibärchen und alle sind sie rot!

Miss Sophie