Das Buch direkt bei Amazon bestellen Gianrico Carofiglio Claudia Schmitt
Das Gesetz der Ehre

Original: Ragionevoli dubbi
(3. Band Guido Guerrieri)
Aus dem Italienischen von Claudia Schmitt
Goldmann gebunden
ISBN 978-3-442-31164-4

Als Avvocato Guerrieri seinem neuen Mandanten zum ersten Mal im Gefängnis begegnet, verschlägt es ihm den Atem: Denn vor ihm sitzt niemand anders als Fabio Paolicelli, der Intimfeind seiner Jugendtage.
Aus dem gewaltbereiten Teenager, der als Rädelsführer einer Jugendgang in Bari von sich reden machte, ist mittlerweile ein braver Familienvater geworden. Mit dem vorgeworfenen Drogenschmuggel habe er nichts zu tun, beteuert er. Ob Guerrieri seinem Mandanten glauben kann, weiß er nicht.
Seine Verwirrung steigert sich noch, als er Natsu kennenlernt, die schöne Ehefrau Paolicellis, zu der er sich sofort hingezogen fühlt. Weil Natsu seine Gefühle erwidert, steht Guerrieris Entschluss fest: Er wird Paolicelli verteidigen.
Auch wenn er dabei alles andere als redliche Motive verfolgt.

Rezension:
"Ragionevoli dubbi" (so der Titel im Original) = Berechtigte Zweifel ...
... solche soll er wecken, Anwalt Guido - und zwar ausgerechnet im Fall eines Mannes, der ihm aus Schulzeiten in unguter Erinnerung geblieben ist!
Die Geschichte, die ihm dabei aufgetischt wird, ist dünn und wenig glaubhaft: Es geht um lupenreines Kokain, das dem harmlosen Touristen Paolicelli untergeschoben worden sein soll.
Besonders dumm bei der Sache: Der Mann, der in seiner Jugend mit dem Spitznamen "Raybàn" belegt worden war, weil er seine gleichnamige Sonnenbrille sogar nachts trug, hat bereits alles zugegeben - auf Anraten des ersten Anwalts, der ihn vertreten hat.

Darum soll Guerrieri jetzt mit Hilfe einer Berufung die Kastanien aus dem Feuer holen.
Allerdings nicht etwa, weil der verurteilte Drogenschmuggler die gemeinsame Schulzeit in so guter Erinnerung hat - sondern vielmehr weil Guidos Ruf unter Knastbrüdern nicht besser sein könnte.

Nach anfänglichem Zaudern übernimmt der Anwalt der "kleinen, schwarzen Schafe" den Fall - wobei sicher keine unwesentliche Rolle spielt, dass seine Freundin sich für eine Zeit ins Ausland abgesetzt hat und Guido als einsamer Wolf recht anfällig ist für die Schönen des schwachen Geschlechts, selbst und gerade wenn sie unerreichbar sind.

Natürlich bringt akribische Detektivarbeit im Verlauf der Handlung viel mehr zutage als ursprünglich gedacht - einflussreiche Leute haben ihre Finger im Spiel und mehrfach wird es ziemlich brenzlig für Guerrieri.
Am Ende steht, wie so oft, eine Gerichtsverhandlung - mit brillanten Vernehmungen, mitreißenden Plädoyers, unerwarteten Zeugenaussagen und neuen Indizien.
Außerdem ein wunderbares Essen und zwei betrunkene Freunde, die durch die Nacht ans Ende der Stadt torkeln, wo nichts mehr ist als "der heitere, geheimnisvolle Schein der gusseisernen Laternen".

Carofiglio wird immer besser.
Man sieht ihn förmlich vor sich, diese Avvocato Guerrieri, der sich einen Teufel darum schert, ob die Kleinkriminellen, die er aus der Klemme holt, tatsächlich schuldig sind oder nicht.

Ein Schlitzohr ist er - und kennt genügend andere, die ihn bei Bedarf unterstützen.
Alte Freunde werden reaktiviert - Commissario Tancredi darf dabei natürlich nicht fehlen (der auch ab und an einmal an seinen Vorgesetzten vorbei ermittelt, um dem Kumpel einen Gefallen zu tun).

Was die Figur des Guerrieri so brillant macht, ist seine facettenreiche Persönlichkeit. Ohne Probleme besucht er eine Veranstaltung, auf der sich die Schickeria tummelt, nur um wenig später in einer der finstersten Spelunken der Stadt hemdsärmelig ein Bier aus der Flasche zu trinken und dabei Karten zu spielen.

Der Leser weiß genau, sein Held könnte (und und würde auch - schließlich nimmt er nicht zum Spaß Boxunterricht) einen, der ihm quer kommt, mit einer schnellen Geraden ohne große Umschweife flachlegen.
Dann wieder ist er belesen und tiefsinnig, sucht mitten in der Nacht eine Buchhandlung auf, um dort ein Werk über die Beschaffenheit von Sprache zu erstehen.
In diesem Zusammenhang ein großes Kompliment für Übersetzerin Claudia Schmitt: Sie überträgt philosophische Exkurse ebenso souverän wie toxikologische Analysen oder Guerrieris humorvollen Schlagabtausch mit dem Polizisten Tancredi.

Der Fall selbst ist spannend - mindestens genauso interessant ist jedoch der Einblick in die Tücken und Schlupflöcher des Rechtssystems, sowie die Tricks der Verteidiger.
Am beeindruckendsten jedoch ist und bleibt Guido Guerrieri. Ein Mann mit vielen Gesichtern - am Ende aber doch immer der Wahrheit und dem Schutz der Schwachen verpflichtet. Zuweilen eine melancholische, fast tragische Figur, wächst der Avvocato dem Leser von Band zu Band mehr als Herz.

Dreimal hat Ex-Staatsanwalt Carofiglio, der jetzt die italienische Regierung in Sachen "Organisierte Kriminalität" berät, schon bewiesen, dass die Mischung ähnlicher Zutaten (ein Anwalt, ein anfangs aussichtsloser Fall, eine schöne Frau und ein Schlussplädoyer, das sich gewaschen hat) ganz unterschiedliche ausgesprochen lesenswerte Ergebnisse liefern kann.
Es wäre sehr zu wünschen, dass ihm noch viele mehr aus der Feder fließen!

Miss Sophie