Colin Cotterill Thomas Mohr
Dr. Siri und seine Toten

Original: The Coroner's Lunch
(1. Band)
Deutsch von Thomas Mohr
Manhattan gebunden
ISBN 978-3-442-54642-8

Dr. Siri Paiboun hatte bislang eigentlich nur mit lebenden Patienten zu tun. Doch nun wird er mit seinen 72 Jahren noch zum einzigen Leichenbeschauer von ganz Laos ernannt - als letzter verbliebener Genosse mit medizinischem Hintergrund.
Es bleibt ihm keine Wahl, als sich ohne jedes Fachwissen, aber mit der Unterstützung zweier ebenso unqualifizierter Assistenten, an seinem ersten Fall zu versuchen: Frau Nitnoy, die Gemahlin eines Parteibonzen, ist bei einem Essen des Frauenverbands plötzlich verstorben, und Dr. Siri argwöhnt, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zuging.
Mit Hilfe eines alten französischen Lehrbuchs, vor allem aber mit viel Witz und Intuition macht er sich daran, die Sache unter die Lupe zu nehmen.
Prompt gerät Dr. Siri selbst in Gefahr, doch zum Glück kann er auf zahlreiche Helfer zählen wie seinen alten Freund und Parteigenossen Civilai, die Chemielehrerin Oum und die Sandwichverkäuferin Tante Lah, die Dr. Siri jeden Mittag mit ihren Köstlichkeiten versorgt - und ein Auge auf ihn geworfen hat ...

Der Titel wurde nominiert für den Duncan Lawrie Dagger Award 2008

Rezension:
Laos, 1976.
Dr. Siri, ein kleiner, buckliger Mann mit schneeweißen Haaren und wilden Brauen über hellgrünen Augen, lebt in einem Zimmer, dessen Mobiliar aus einer Matratze, drei Stühlen und einem Schreibtisch besteht. Das Bad im Parterre teilt er sich mit acht anderen Menschen.
Der von den Patienten verehrte Arzt aus Leidenschaft freut sich auf die Pension. Leider weit gefehlt: Sein ein Jahr zuvor vom Königreich zur kommunistischen Republik gewordenes Vaterland braucht den ehemaligen Feldchirurgen noch. Als "amtlichen Leichenbeschauer"!
Und so macht der Autodidakt sich denn an die Arbeit - bewaffnet bei seiner ersten Obduktion nur mit einem alten Lehrbuch von 1948, das er vor sich auf einem Notenständer balanciert; auf für andere Pathologen unerlässliche Gerätschaften, wie etwa eine Waage, muss er leider verzichten.
Gut, dass dem feinsinnigen Mann, der einst in Frankreich studierte, neben einer patenten, intelligenten Krankenschwester und einem ausgesprochen anstelligen jungen Mann mit Down Syndrom auch sein alter Freund aus dem Politbüro und noch dieser und jener Helfer zur Seite stehen.

Was danach folgt, ist die Schilderung von Lebensumständen, die skurril und für den westlichen Leser aus dem 21. Jahrhundert schier unglaublich klingen:
Als Belohnung für brave Bürger gibt es den Gemeinschaftsdienst am Wochenende, bei dem es gilt, Kanäle zu graben oder Jugendzentren anzustreichen ...
Die Jurisdiktion ist eine Farce, weil die entsprechenden Posten nur über Beziehungen vergeben werden und der Richter, anstatt unparteiisch zu sein, den alten Siri nur schikaniert und bei seiner Arbeit behindert.
Überall herrscht Korruption, es gibt keine finanziellen Mittel, keine Ausrüstung für Polizeiarbeit, alles ist mit großem Aufwand verbunden, die meisten Beamten und Angestellten sind nur servile, gehorsame Lakaien des Regimes ...

Doch kommen andererseits gerade unter diesen erschwerten Bedingungen clevere, vernünftige und unerschrockene Leute zum Vorschein, die mit Grips und List das Richtige tun und sich auf ihrem Kurs auch von der Regierung und ihren Vertretern nicht beirren lassen.

Mit feinem Humor lässt der seit langem in Asien lebende Cotterill den Leser eintauchen in diese ganz andere Welt - spart nicht an überraschenden Wendungen, die seinen Helden und dessen Freunde auch nicht selten in große Gefahr bringen.

Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sich ein zusätzliches Element durch den gesamten Roman zieht: Dr. Siri hat nämlich oft sehr intensive Träume, in denen ihm bei Nacht Verstorbene erscheinen, die er durch seinen Beruf "kennen gelernt" hat. Durch sie erfährt er manches Detail, das es dann allerdings noch zu beweisen gilt ...
Diese übersinnliche Komponente ist allerdings so gekonnt in den Text integriert, dass selbst normalerweise faktenversessene Leser sie als gelungene Ergänzung und keineswegs störend empfinden.

Vergessen Sie also "Medium" und "Ghost Whisperer" - hier kommt Siri!

Dieser ausgesprochen gelungene Auftakt der Reihe (vier weitere Bücher sind - zum Glück - bereits fertig und ihre Veröffentlichung in Deutschland beschlossene Sache) ist ein absolutes Muss für jeden Krimifreund und eine Bereicherung fürs Genre.
Ein rundherum gelungener Roman - zum Eintauchen, Schmökern und Schwelgen in einer exotischen Welt voller Geister und kauziger Typen.

Miss Sophie